Girlanden an der Hintertür

Der Mann ist eigentlich ein Kommunikator. Gleichzeitig ist er einer, der den Mittelpunkt eher meidet. Dirk Willemsen als Hauptdarsteller? Dieses Angebot würde der Mann wohl eher ausschlagen …
Da passt es ins Bild, dass man eher zufällig erfährt: der Mann, der seit 43 Jahren die Orgel in der Wallfahrtskirche St. Peter und Paul spielt, geht nach 43 Jahren in den Ruhestand. „Ich wollte kein großes Aufhebens“, sagt er – und: „Ich wäre am liebsten durch die Hintertür gegangen.“ Pech gehabt, Dirk. So einfach geht es nun auch wieder nicht. Am Sonntag spielt Willemsen seinen letzten Gottesdienst als Organist von St. Peter und Paul. Danach: Empfang im Pfarrheim. Was so ansteht, wenn einer sich verabschiedet.

Aufgeschoben

Da ist es wieder – das Wörtchen ‚eigentlich‘, denn aus der kleinen Feier im Anschluss an den Gottesdienst wird nun nichts. Corona lässt grüßen. Immerhin: Der Gottesdienst wird stattfinden – live und mit Menschen in der Kirche. So ganz raus aus der Nummer ist Willemsen trotzdem nicht, denn natürlich gilt: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ein Termin für den Verschiebe-Abschied gibt es noch nicht. „Kann ja auch noch einen Tick dauern“, sagt Willemsen und irgendwie müsste man sich ein trauriges Gesicht schon selber vorstellen. Wie gesagt: Willemsen ist kein Mann fürs Zentrum. „Die Zeit im Gottesdienst habe ich immer sehr genossen. Da kommst du zu dir. Nichts lenkt ab. Kein Handy, keine Fragen.“ Immerhin: Im Gottesdienst ist die Orgel ein mehr oder weniger zentrales Element, aber in Kranenburg ist man als Organist quasi unsichtbar. Ideal für Willemsen. Gehört im Zentrum, aber sonst am Rande.

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Deckenmalerei

1977 trat Willemsen seinen Dienst in Kranenburg an und so viel ist sicher: Er hinterlässt Spuren – sichtbare. „Als ich vor 43 Jahren hier anfing, war die Kirche so gut wie leer“, erinnert er sich. Schaut man jetzt – vor allem in den Seitenschiffen – deckenwärts, sieht man Malereien. Sie stammen von … genau: Dirk Willemsen. Er würde sagen: Muss ja nicht jeder wissen. Okay: Muss nicht – kann aber wohl.
2003 malte Willemsen die Decken. Man mag sich das nicht vorstellen, wie da einer auf dem Gerüst rumturnt und kopfüber Farbe aufträgt. Willemsen erinnert sich: „Das ging alles ziemlich flott. Ich hatte gerade mit dem Rauchen aufgehört. Das kam der Arbeit sehr entgegen, denn ich musste nicht alle Nase lang zum Qualmen nach draußen.“

K. und K. und K. …

Willemsen ist nicht ohne Musik denkbar, aber eben auch nicht ohne Malerei und Zeichnen. Er ist ein Karrikaturist, der Pointen setzen kann. Lachen ist bekanntlich gesund. Willemsen ist quasi Selbstbehandler, denn wenn er nicht selber über eine Zeichnung lachen kann, ist sie wahrscheinlich „daneben“. Der Mann ist gefragt. Nicht nur in Kirchendingen. Er hält es mit dem Buchstaben K. Kirche, Kunst, Karrikatur.
Wer sich Willemsen stocksteif und streng an der Klassik orientiert vorstellt, wird eines besseren belehrt. Der Mann spielt in einer Rockband, Merke: In der Kirche due Pfeifenorgel – in der Band die B3. Hammond B3. Das ist für eingefleischte Rock-Organisten, was für die Gitarristen die Stratocaster von Fender ist.
Einer wie Willemsen, auch das gehört dazu, ist das, was man eine ehrliche Haut nennen würde. Er ist einer, dem es, auch wenn er Mittelpunkte meidet, um den Kern der Dinge geht. Zum Kern gehört auch, eine Meinung zu haben. Aber: Meinung allein macht noch keinen Aufrechten. Man muss die Haltung addieren. Meinung ohne Haltung ist wie ein Fahrrad ohne Kette.

Die Marlies macht das toll

Natürlich gibt es im Altersruhezeitvorbereitungsmodus Fragen, die immer kommen: „Wird man dich denn künftig noch in der Kirche sehen?“ Willemsen muss bei einer solchen Frage nicht nachdenken: „Auf jeden Fall. Ich werde es genießen, mit meiner Frau zusammen unten zu sitzen“, sagt er und man nimmt es ihm ab. Keine Selbstbeschwichtigungsnebelkerze. Der Mann meint, was er da sagt. Die Musik wird ja nicht abgeschaltet. Und für Vertretungen steht er zur Verfügung. Eine Nachfolgerin ist längst gekürt. Es ist Marlies Püplichhuisen-Michels. „Die Marlies wird das toll machen. Das weiß ich“, sagt der Alte. Er kann beruhigt die Orgelbank verlassen. Und was ist mit dem lachenden und dem weinenden Auge? „Darüber habe ich in den letzten Wochen auch viel nachgedacht. Ich glaube, ohne den Shutdown wäre es schlimmer für mich. Jetzt ist ja alles irgendwie in Zeitlupe.“ Willemsen ist kein Shutdown-Fan. „Wenn ich mit jemandem spreche, muss ich sein Lachen sehen können oder auch die Traurigkeit, aber keine Maske.“ Das ist mal eine Ansage: „Natürlich kann ich verstehen, warum es momentan ist wie es ist, aber ehrlich gesagt ist das nichts für mich.“

… als wär‘s ein Hochamt

Einer von Willemsens Grundgedanken in den vergangenen 43 Jahren: „Jede Messe spielen als wär‘s ein Hochamt.“ Das habe er mal vom Kölner Domorganist gehört. Der Satz blieb hängen und wurde zur Devise. „Mein Lieblingsgottesdienst in all den Jahren war die Kreuzmesse.“ Die findet, erfährt man von Willemsen, immer freitags statt: seit 1308. „Das ist kein Hochamt, aber es kommen treue, einfache Menschen.“ Bodenhaftung wäre ein Wort, das zu Willemsen passt.

… und K. und K.

Zu den drei schon genannten K-Worten (Kirche, Kunst, Karrikatur) muss ein viertes addiert werden: Keschichte. Willemsen kennt sich aus: mit der Geschichte „seiner“ Kirche, aber auch mit der Geschichte des Karnevals in Kranenburg, denn da wäre dann das 5. K: Karneval. Der Kreis schließt sich. Eines, da ist Willemsen sicher, wird ihm nicht passieren: „Ich werde nicht mit den Händen auf dem Rücken durch Kranenburg gehen.“ Übersetzung: Hände in den Schoß legen ist sein Ding nicht. Es gibt ja die fünf K.

Girlande am Hintereingang

Noch was? Ja. Schöne Erinnerungen an Fernsehgottesdienste (ZDF) und Radio-Produktionen für deutsche und niederländische Sender. Willemsens liebste Disziplin: Improvisation. Seine Nachfolgerin möchte von Willemsen Improvisationserfahrungen lernen. Die beiden werden demnächst öfter auf der Orgelbank sitzen. Willemsen ist keiner, der nach dem Motto „Wissen ist Macht“ verfährt. Was sich weitergeben lässt, wird weitergegeben.
Kirchenführungen wird Willemsen auch weiterhin machen: Mit Keschichte kennt er sich bestens aus. Naja – und irgendwann, wenn es Corona wieder zulässt, kommt dann doch noch das dicke Ende: Gottesdienst mit Feierstunde. Da muss er durch. So oder so. Danach kann er sich immer noch durch die Hintertür schleichen, aber es ist zu befürchten, dass auch da eine Girlande hängt.

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