Der Erste-Hilfe-Button

Wer denkt bei Corona und Social Distancing schon an Alkoholiker? Zyniker würden sagen: „Gut, dass die Kneipen dicht sind.“ In Wirklichkeit ist der momentane Zustand in der Tat ein Notstand – vor allem auf der seelischen Ebene.

Es ist ein Unterschied

Natürlich: Diverse Kommunikationsplattformen schaffen die Möglichkeit, sich in Wort und Bild zusammenschzuschalten, aber es ist eben etwas anderes, ob das Gegenüber zwei Meter weiter sitzt oder über einen Bildschirm zugeschaltet ist.
„Mein Name ist Peter und ich besuche seit 34 Jahren die Meetings der Anonymen Alkoholiker in Kleve. Aufgrund der Covid19-Pandemie sind im Kreis Kleve sämtliche Meetings der AA eingestellt. Das ist eine Situation, mit der wir umzugehen lernen müssen. Wir sind es gewohnt, in den Gruppen Erfahrung, Kraft und Hoffnung zu teilen, um selbst nüchtern zu bleiben und anderen Alkoholikern zur Nüchternheit zu verhelfen. Die Möglichkeit, diese Ziele im Rahmen eines Face-to-Face-Meetings (f2f) zu erreichen, sind uns zur Zeit genommen. Der nasse Alkoholiker ist in der Regel schon ziemlich einsam; verschlimmert wird seine Situation durch die augenblicklich geltenden Einschränkungen. Dies kann sehr schnell in eine tiefen Depression und in ein Gefühl der Ausweglosigkeit führen.“

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Risikogruppe

In den Kreisen Kleve und Wesel existieren rund 23 Gesprächsgruppen. Die Gruppenstärke ist unterschiedlich, „aber Sie können davon ausgehen, dass es pro Gruppe mindestens fünf Teilnehmer gibt. Wir reden also von über 100 Menschen“, erklärt Peter.
Über 50 Prozent der Menschen, die bei den Anonymen Alkoholikern sind, gehören allein schon aufgrund ihres Alters (60+) in die Risikogruppe. „Das hat nichts damit zu tun, dass es bei Menschen unter 60 weniger Alkoholabhängige gibt. Es liegt daran, dass bei den meisten erst im Alter der Leidensdruck einerseits und die Einsicht andererseits zunimmt“, sagt Peter. Was übrigens die Geschlechterverteilung angeht, schätzt Peter: „70 zu 30 Prozent.“ Mehr Männer also.

“Die treffen sich ja nicht”

Peter: „Die Anonymen Alkoholiker betreiben schon seit langer Zeit regelmäßig stattfindende Online-Meetings, die auf unserer Internetseite ‚anonyme-alkoholiker.de‘ gelistet sind. Aufgrund der jetzigen besonderen Situation sind temporär zahlreiche zusätzliche Online-Meetings aus dem Boden gestampft worden – teils über Skype, über Zoom oder als reine Telefonmeetings.
Peter hat im März eine Whatsapp-Gruppe gegründet. „Diese Gruppe wird aber eingestellt, sobald normale Kontakte wieder möglich sind.“ Wichtig ist aus Peters Sicht, dass es – vor allem für Neulinge – Anlaufstellen gibt. „Bis vor Corona hat man einfach im Internet eine Gruppe in der Umgebung gesucht und ist dann hingegangen. Das geht jetzt nicht, denn die Gruppen treffen sich ja nicht.“

“ja, ich habe den Wunsch, nicht mehr zu trinken”

Wichtig aus Peters Sicht ist der Hinweis, dass es auf der Seite der Anonymen Alkoholiker (www.anonyme-alkoholiker.de) einen „Erste-Hilfe-Button“ gibt. Direkt auf der Hauptseite findet sich unter der Rubrik „Ja, ich habe den Wunsch, nicht mehr zu trinken“ eine Telefon-Anlaufstelle, die montags bis donnerstags zwischen 8 und 21 Uhr, sowie freitags bis sonntags zwischen 8 und 18 Uhr zu erreichen ist (+49 8731/3257312). Dort steht „Für schnelle Hilfe“ per Email auch ein „Erste-Hilfe-Team“ zur Verfügung (erste-hilfekontakt@anonyme-alkoholiker.de).

Zentrales Element der Unterstützung

„Es wird alles getan, um die Menschen aufzufangen“, sagt Peter, aber er weiß auch, dass der persönliche Kontakt ein zentrales Element der Unterstützung ist. Trotzdem der Hinweis auf die Tatsache, dass „20 bis 30 Online-Meetings immer in Betrieb sind. Das ist dann nicht unbedingt in der unmittelbaren Umgebung, aber bei einem Online-Meeting tut das ja auch nichts zur Sache. Es geht darum, Kontakt zu haben und nicht allein zu sein.“
Was also ist die Botschaft an die, die Hilfe suchen? Peter: „Erstens gibt es die Möglichkeit des Erste-Hilfe-Buttons, aber es besteht auch die Möglichkeit, sich jederzeit bei Online-Meetings anzumelden und teilzunehmen.“ Dabei – auch das ist wichtig – spielt die Anonymität auch in Zeiten von Corona eine zentrale Rolle.
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