KEPPELN. Die Coronakrise hat vieles lahmgelegt, auch ergotherapeutische Behandlungen sind nicht mehr ohne weiteres durchführbar. Eine Situation, die derzeit auch Andrea Franken erlebt. Die 40-Jährige arbeitet in einer Gocher Praxis hauptsächlich mit Kindern, die das Down-Syndrom haben. Und da der direkte Kontakt mit „ihren Kids“ momentan nicht möglich ist, geschieht dies per Videotherapie.

Ein technischer Freak, nein das sei sie nicht, sagt Andrea Franken, aber außergewöhnliche Zeiten erfordern eben außergewöhnliche Lösungen. „Hätte mich vor drei Monaten jemand gefragt ,Kannst Du Dir vorstellen, dass Du das machst?’ hätte ich gesagt ,niemals!“, lacht sie. Doch dann hat sie es einfach versucht. Das Ergebnis: 45 Minuten Therapie am Bildschirm, unterstützt durch das Programm „Sprechstunde online“, das über den DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten) zur Verfügung gestellt wird. „Ich generiere einen Termin, die Eltern bekommen die Information und den Zugang und es kann losgehen“, berichtet Franken, die dann mit dem Laptop am heimischen Küchentisch sitzt: „Wenn sich der Bildschirm öffnet, freuen sich die Kinder immer total, weil man Zeit für sie hat.“ Wie sonst auch, hat sich Andrea Franken vorher überlegt, was sie in diesen 45 Minuten mit ihnen machen möchte. „Ich fülle meine Ideenkiste“, sagt sie und die gibt trotz Corona-Beschränkungen einiges her. Wenn auf beiden Seiten des Bildschirms beispielsweise Legosteine nach Farben sortiert werden, die Kinder nachmalen, was Andrea Franken ihnen vormacht, es darum geht, Küchenutensilien richtig zuzuordnen oder bei vier Teilen das zu finden, das nicht zu den anderen dreien passt, dann werden auf spielerische Weise zum Beispiel Merk- und Konzentrationsfähigkeit trainiert. Selbst eine Partie Memory oder ein Würfelspiel lassen sich bestens einbauen; es reicht durchaus, wenn Karten oder Spielbrett nur auf einer Seite des Bildschirms liegen. Mit Mimik und Gestik kann man zudem vieles vermitteln – Stichworte Lob und Motivation: „Ich klopfe mir auf die Schulter und sage zu dem Kind ,guck mal, was ich bei mir mache’ – das Kind strahlt und weiß, dass ich stolz auf seine Leistung bin.“ Außerdem verschickt Andrea Franken dreimal pro Woche ein kleines Video mit einer Spielidee oder einer Aufgabe, die bis zum nächsten Termin erledigt werden sollen.

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Webinar für 
andere Therapeuten

Um andere Therapeuten von den Möglichkeiten der Videotherapie zu überzeugen, hat Andrea Franken mit einer Essener Kollegin kurzerhand ein Webinar auf die Beine gestellt. „Dafür hatten wir bloß drei Tage Vorlauf“, erzählt sie. Zweimal hat das Seminar am Bildschirm bisher stattgefunden, jedes Mal waren 25 Teilnehmer dabei. „Viele waren total unsicher, wir haben ihnen erst einmal das Procedere von ,Sprechstunde online‘ erklärt und unsere Ideenkiste aufgemacht“, berichtet sie. Das Fazit vieler Teilnehmer sei gewesen: „Gut, dass es diese Möglichkeit gibt.“ Jetzt arbeiten die beiden Frauen bereits an einem Folgeseminar, das sie im Netz anbieten möchten.

Langfristige Zusammenarbeit

Andrea Franken, die seit fast 20 Jahren Ergotherapeutin ist, hat zunächst im Bereich Pädiatrie und Neurologie gearbeitet. Seit etlichen Jahren moderiert sie deutschlandweit inklusive Veranstaltungen wie just noch im März die Special Olympics Berchtesgaden. Als freie Rednerin hat sie auch schon ein Paar mit geistiger Behinderung getraut. Schließlich hat sie sich in ihrer ergotherapeutischen Arbeit auf Kinder mit Down-Syndrom spezialisiert. „Ich arbeite gerne langfristig mit den Familien zusammen“, so Franken, „die Kinder werden nicht alles können, aber wenn man sie fordert, können sie vieles tun.“

Größtmögliche
Selbstständigkeit

Das Ziel sei immer die größtmögliche Selbstständigkeit, vielleicht sogar mit der Perspektive, eines Tages von zuhause auszuziehen, um entweder alleine oder betreut zu wohnen. Dafür möchte Andrea Franken ihnen viele Aspekte des Alltags mitgeben. Zum Beispiel, wie man richtig „Guten Tag“ sagt: „Der eigenen Oma darf man gerne um den Hals fallen, der Bundeskanzlerin gibt man nur die Hand, da ist eine Umarmung nicht angebracht.“ Solche Improvisations-Übungen fallen momentan natürlich aus.
Mit acht Kindern arbeitet Andrea Franken zurzeit, die sie normalerweise ein- bis zweimal pro Woche in der Praxis sieht. Natürlich kann die Videotherapie die direkte Arbeit nicht komplett ersetzen: „Sobald es geht, möchte ich wieder richtigen Kontakt zu den Kindern haben“, bekräftigt Andrea Franken. Doch momentan wäre die Alternative keine Therapie – und das ist für sie keine Option: „So wird die Verbindung gehalten, das wäre sonst für die Kinder blöd.“ Und etwas Positives kann Andrea Franken der Situation dann auch noch abgewinnen: „Jetzt sind viele Dinge verknüpft: meine Ausbildung, die Therapie und die Moderation, das kommt mir in dieser Zeit entgegen.“

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