Corona-Krise: “Wir alle arbeiten am Limit”

Hausärzte sollen Abstriche für Corona-Tests durchführen, doch ihnen fehlt die Schutzkleidung. Viele fühlen sich allein gelassen und befürchten, dass man ihnen den Schwarzen Peter zuschiebt.

NIEDERRHEIN. Testen oder nicht testen? Das ist derzeit eine der entscheidenden Fragen in der Corona-Krise. Zur Entlastung der Krankenhäuser nehmen Kreisgesundheitsamt und Robert-Koch-Institut auch die Hausärzte in die Pflicht (NN vom 21. März). Allerdings: „Wir würden ja gerne Abstriche vornehmen”, sagt Dr. Detlev Kiss, Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin aus Wachtendonk, „aber seit Beginn der Corona-Krise werden wir als Hausärzte im Stich gelassen.”

Stand Donnerstag, 26. März, waren im Kreis Kleve 179 Menschen mit dem Virus infiziert, 192 im Kreis Wesel. Rund zehn bis zwölf Patienten melden sich täglich bei Kiss und berichten von Symptomen wie Husten und Fieber. Viele hatten sich zuvor beim Kreisgesundheitsamt gemeldet und dort die Auskunft erhalten: „Wenden Sie sich vertrauensvoll an Ihren Hausarzt”, schildert Kiss. Das Problem: „Wir können gar nicht testen, denn uns fehlen die Schutzmaßnahmen.” Ob Desinfektionsmittel, Schutzmasken- oder Kleidung für ihn und seine Mitarbeiterinnen – „das alles bekommen wir derzeit weder für Geld noch gute Worte”, sagt Kiss. Aus Gesprächen mit Kollegen weiß er, dass es bei ihnen nicht viel anders aussieht.

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Umso mehr freuen ihn Aktionen wie die zweier Patientinnen, die ihm aus privatem Bestand Desinfektionsmittel vorbeibrachten. „Ich finde es wunderbar, dass es noch so tolle Leute gibt.”

Auch Kinder- und Jugendärzte betroffen

Die mangelnde Ausstattung mit Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln betrifft in großem Umfang auch die ambulanten Praxen der Kinder- und Jugendärzte. „Ungenügend geschütztes medizinisches Personal und Ärzteschaft gefährden nicht nur sich selbst, sondern auch ganz unmittelbar und direkt die Patienten und in noch stärkerem Ausmaß die zukünftige medizinische Versorgung, wenn Praxen wegen Infizierungen und Erkrankungen des Personals oder der Ärzte geschlossen werden müssen”, mahnt Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte.

Detlev Kiss ist vor allem eines sehr wichtig: Es solle nicht der Eindruck entstehen, er und seine Kollegen seien nicht bereit, Abstriche für die Corona-Tests vorzunehmen. „Das Problem ist: Sollte nach einem Abstrich in meiner Praxis der Test positiv ausfallen, müsste ich die ganze Praxis zumachen, weil mir die Schutzmaßnahmen fehlen.” Aus diesem Grund müsse er jeden Patienten mit Verdacht auf Corona zum Krankenhaus schicken. Den Unmut, der dort entstehe, könne er verstehen. „Die Krankenhäuser arbeiten auch am Limit. Aber am Ende bleibt der Schwarze Peter bei uns hängen”, sagt Kiss.

Lieferung angekündigt – “alles ist verschwunden”

Ende vergangener Woche hatte die Kassenärztliche Vereinigung (KV) laut Kiss angekündigt, dass im Laufe der folgenden Tage eine Lieferung mit Schutzkleidung ankommen sollte. Am Montag folgte die Ernüchterung per E-Mail: „Uns wurde mitgeteilt, dass alles verschwunden ist.” Beim Einkauf dringend benötigter Schutzmasken habe es eine schwere Panne gegeben. Tatsächlich bestätigte eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums, dass in Kenia sechs Millionen bestellte Atemschutzmasken „verloren gegangen” seien. Die Bundeswehr sollte dabei helfen, die dringend benötigten Schutzmasken nach Deutschland zu liefern. Wenig tröstlich für Kiss und seine Kollegen: Dem Bund sei „kein Schaden entstanden, weil die Masken noch nicht geliefert wurden und noch nicht bezahlt wurden”, betonte die Ministeriumssprecherin.

Inzwischen hat Kiss von der KV Nordrhein die Nachricht erhalten, dass die Lieferungen mit Schutzkleidung „langsam, aber sich anlaufen sollen”.

Im St.-Willibrord-Spital in Emmerich ist der Bedarf an Schutzkleidung und -brillen derzeit noch ausreichend bedeckt. „Das Krankenhaus-Personal in Medizin und Pflege erhält Schutzkleidung so, wie es der Bedarf erfordert; Bestellung, Lagerung und Verteilung erfolgen zentral”, teilt die Trägergesellschaft Pro Homine mit. Allerdings: „Bei Masken aller Art und Desinfektionsmitteln gibt es aktuell Lieferengpässe.” Daher sei es unklar, ob und wann die bestellten Mengen geliefert werden können. „Wir hoffen, dass sich die Lage nächste Woche entspannt, wenn avisierte Lieferungen eintreffen sollen.” „Wir hoffen, dass sich die Lage nächste Woche entspannt, wenn avisierte Lieferungen eintreffen sollen.”

“Unsere Vorräte reichen nicht ewig”

Das Fieberzelt am Klever St.-Antonius-Hospital.
NN-Foto: RD

Im Klever Krankenhaus gibt es momentan noch ausreichend Schutzkleidung und -masken. „Aber unsere Vorräte reichen nicht ewig”, teilt ein Krankenhaus-Sprecher mit. Man sei, genauso wie alle anderen Krankenhäuser und Arztpraxen, auf Nachschub angewiesen. In der Fieberambulanz wurden am Montag 44 von insgesamt 89 Patienten getestet, am Dienstag waren es 18 von 54. Der Krankenhaus-Sprecher betont: „Getestet werden Patienten nur, wenn sie aufgrund ihrer Vorerkrankungen einem erhöhten Komplikationsrisiko ausgesetzt sind. Für alle anderen Patienten – auch mit Symptomen – sieht das Gesundheitsamt zunächst zwei Wochen häusliche Quarantäne vor.”

Für Entspannung – oder vielmehr Entlastung – soll auch die mobile Probenentnahme sorgen, die das Kreisgesundheitsamt Kleve organisiert und durch das DRK beziehungsweise die Malteser durchgeführt wird. „Wir begrüßen dieses Angebot, weil dieser ambulante Dienst in den Tagen der Kontaktsperre direkt zu den Menschen kommt und so zur Dezentralisierung beiträgt”, teilt die Pro Homine mit. Eine echte Entlastung für das Krankenhaus sei es insofern nicht, als Krankenhäuser im Gesundheitssystem grundsätzlich nicht für die ambulante Versorgung zuständig seien, also auch nicht für Abstriche von Bürgern, die fürchten, sich mit Corona infiziert zu haben.

Für Detlev Kiss ist es in der derzeitigen Situation jedenfalls „wenig förderlich”, wenn das Kreisgesundheitsamt weiterhin Patienten mit Corona-Verdacht zu den Hausärzten schickt. Zumal sich das Amt gleichzeitig in Sachen Informationspolitik sehr zurückhaltend gibt. „Wir müssen den Informationen hinterher telefonieren.”

Kreis Kleve: Vorhaltung von Schutzkleidung ist Arbeitgeberpflicht

Der Kreis Kleve teilt dazu auf Anfrage der NN mit: „Die ambulante Versorgung der Bevölkerung ist originäre Aufgabe der Kassenärzte. Dazu gehört auch die Versorgung in Infektionskrisenfällen. Die Vorhaltung von Schutzkleidung ist Arbeitgeberpflicht eines jeden Arztes.” Nach Kenntnisstand des Kreises werde derzeit durch die KV Nordrhein Schutzkleidung für die Praxen organisiert. Zum Thema Informationspolitik verweist der Kreis auf die Internet-Seite der KV und betont: „Auskunftsbedürftige Ärzte und anderes medizinisches Fachpersonal werden von den Ärztinnen und Ärzten des Gesundheitsamtes regelhaft zurückgerufen oder per Email informiert.”

Im Kreis Wesel wurden am vergangenen Dienstag die dezentralen Abstrichzentren heruntergefahren, da vorübergehend keine ausreichenden Laborkapazitäten zur Verfügung stehen. Michael Maas, Vorstandsmitglied für den Bereich Gesundheitswesen der Kreisverwaltung Wesel, bittet um Verständnis: „Es ist zwingend notwendig, die Tests auf die Personen zu beschränken, die eindeutige Symptome zeigen und eine entsprechende ärztliche Überweisung erhalten haben”, und ergänzt: „Auch, wenn in der Anfangsphase der Corona-Lage in ganz Deutschland auch alle Kontaktpersonen und Menschen ohne Symptome getestet wurden, ist dies heute nicht mehr möglich und sinnvoll.”

Landrat Müller appelliert an Unternehmer

Auch fehlen immer noch die mehrfach von Bund und Land angekündigten Schutzmaterialen. Maas Appelll: „Es muss nun dringend und zeitnah mehr Kraft in die Herstellung und Beschaffung von Schutzausrüstungen investiert werden.” Das Land und der Bund seien hier gefordert, die Kreise und Städte effizienter als bisher zu versorgen, damit diese eine bedarfsgerechte Verteilung organisieren können.

Landrat Dr. Ansgar Müller wendet sich mit der Bitte um Unterstützung an die Unternehmen im Kreis Wesel. „Mir ist bewusst, dass die Wirtschaft in dieser Lage vor der riesigen Aufgabe steht, Zukunftssicherung im Sinne ihrer Beschäftigten zu betreiben. Ich bitte dennoch um die Unterstützung der Unternehmen im Kreis Wesel, denn dringend benötigte Materialien sind auf dem freien Markt kaum noch beschaffbar.” Neben dem notwendigen Material zur Versorgung medizinischer und anderer kritischer Infrastrukturen bittet der Landrat auch um Hinweise auf noch funktionierende Beschaffungswege. „Die Unternehmen verfügen über andere Kontakte und Strukturen als die Kreisverwaltung. Vielleicht finden wir so noch eine Möglichkeit, an Materialien wie Desinfektionsmittel oder Schutzmasken zu kommen”, erläutert Müller seinen Appell.

In seiner Praxis hat sich Kiss auf die aktuelle Lage eingerichtet: Patienten dürfen nur noch mit Termin kommen und die Räume nur noch einzeln betreten. Vor der Praxis hat der Arzt als Wartebereich einen Pavillon aufgebaut. Was ihn wundert: „Wir hatten Schweine- und Vogelgruppe, wir hatten Sars – wir hätten auf Corona vorbereitet sein können.” Was ihm nun noch bleibt? „Beten, dass alles gut geht. Und hoffen, dass wir irgendwann Schutzkleidung erhalten.”

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