TeleClinic
Stellten die „TeleClinic“ vor: Matthias Mohrmann, Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg, Katharina Jünger, Gründerin der „TeleClinic“, Barbara Nickesen, AOK-Regionaldirektorin Kreis Kleve und Kreis Wesel, sowie Dr Karsten Thiel, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am St.-Clemens-Hospital in Geldern (v.l.) NN-Foto: SP

KREIS KLEVE. Ein paar Tausend Menschen suchen pro Jahr die Notfall-Ambulanzen in den Kreisen Kleve und Wesel auf. „Etwa 50 Prozent der Patienten sind keine wirklichen Notfälle. Der Klassiker ist das Kind, das bereits seit drei Wochen hustet, aber samstags in die Notfall-Ambulanz kommt“, sagt Dr. Karsten Thiel, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am St. Clemens-Hospital in Geldern. Um dem Abhilfe zu verschaffen, startet die AOK Rheinland/Hamburg nun ein Pilotprojekt für junge Familien in den Kreisen Kleve und Wesel: Eltern können künftig für ihr Kind eine fachärztliche Beratung per Telefon und Videochat in Anspruch nehmen. Möglich macht dies das Start-up „TeleClinic“, das bundesweit eine fachärztliche Behandlung via App oder Computer anbietet.

Durch das Pilotprojekt sollen am Niederrhein nicht nur Notfall-Ambulanzen, sondern auch Arztpraxen entlastet werden. „Wir haben mit verschiedenen Kinderärzten in der Region gesprochen. Es hat keiner gesagt: Ihr nimmt uns etwas weg. Stattdessen fanden sie alle das Angebot gut“, sagt Matthias Mohrmann, Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg.

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In den Kreisen Kleve und Wesel merken Kinderärzte bereits seit Jahren an, dass sie an ihre Grenzen kommen. „Wir leben hier in einer Region, wo die Not am größten ist. Zugezogene Kinder werden von Kinderärzten schon gar nicht mehr angenommen. Die Kinderärzte sind einfach total überlastet. Die ,TeleClinic‘ ist daher ein hervorragendes Projekt, um sie zu entlasten“, sagt Barbara Nickesen, AOK-Regionaldirektorin für die Kreise Kleve und Wesel.

Junge Familien unterstützen

Gleichzeitig bringe die „TeleClinic“ viele Vorteile für Eltern, wie Mohrmann erklärt: „Wir leben in einer Region, wo der nächste Arzt – anders als in Ballungsräumen – mehrere Kilometer weit weg sein kann. Mit der neuen Kooperation möchten wir einen wichtigen Beitrag dazu leisten, junge Familien in ihrem herausfordernden Alltag zu unterstützen. Dabei stellt dieses Projekt eine sinnvolle Ergänzung zur regulären ambulanten Versorgung dar.“

„Wenn das Kind seit vier Tagen hohes Fieber hat oder seit drei Wochen hustet und es hat bislang noch nichts geholfen, sollte weiterhin eine Arztpraxis aufgesucht werden“, rät Thiel. Bei nicht akuten, schwerwiegenden Fällen könnten Eltern aber sorglos erstmal einen Arzt per Videochat kontaktieren und damit die Arztpraxen und Notfallambulanzen entlasten und den Platz für akute Notfälle freihalten. „In einem Anamnesegespräch kann ein erfahrener Arzt auch über den Videochat herausfinden, ob er aus der Ferne behandeln kann oder eine Arztpraxis aufgesucht werden sollte“, sagt Thiel.

250 Ärzte in sämtlichen Fachrichtungen

Die „TeleClinic“ arbeitet bundesweit mit 250 Ärzten in sämtlichen Fachrichtungen zusammen. „Wichtig ist, dass die Ärzte erfahren sind. Sie müssen schon viele Diagnosen gestellt haben, dass sie dann auch per Videochat behandeln können“, sagt Dr. Nikolaus Schmidt-Sibeth, Facharzt für Allgemeinmedizin aus Berlin. Er ist bei dem Start-up für die Qualitätssicherung bei telemedizinischen Behandlungen zuständig und behandelt auch selbst Patienten aus der Ferne.

„Ich war selbst überrascht, wie gering der Unterschied beim Verhältnis zwischen Arzt und Patient im Vergleich zu einer Behandlung in einer Arztpraxis ist. Das Vertrauensverhältnis baut sich ähnlich schnell auf“, sagt Schmidt-Sibeth. Aus seiner Erfahrung heraus seien die Patienten auch sehr zufrieden mit der Fern-Diagnostik. Mittels der Kamera am Smartphone lasse sich zum Beispiel auch gut in den Hals schauen oder die Atmung überprüfen. Etwa 60 Prozent aller Patienten seien bislang mit der „TeleClinic“ ausreichend behandelt. Die anderen 40 Prozent müssten später nochmal eine Arztpraxis aufsuchen.

So funktioniert die „TeleClinic“
Nutzer müssen sich zunächst kostenlos unter www.teleclinic.com oder in der App „TeleClinic“, die in jedem App-Store kostenlos heruntergeladen werden kann, registrieren. Wer mit einem Arzt einen Gesprächstermin via Videochat oder Telefonat vereinbaren möchte, muss zuerst einmal einen medizinischen Fragebogen ausfüllen. Dabei müssen Fragen zur Gesundheit beantwortet werden. Außerdem kann der Patient auswählen, ob er den Arzt um ein Rezept, eine Krankschreibung oder eine Überweisung bitten möchte und in welchem Zeitraum der Arzt sich bei ihm melden soll.

30 Minuten Wartezeit

Die AOK Rheinland/Hamburg hat mit der „TeleClinic“ vertraglich vereinbart, dass der Patient spätestens innerhalb einer halben Stunde einen Arzt sprechen kann. Der Arzt meldet sich automatisch und kann auch eine Krankschreibung oder ein Rezept ausstellen. Über die App können Patienten eine Krankschreibung direkt an den Arbeitgeber senden sowie ein Rezept bei einer Partner-Apotheke in der Nähe einlösen oder sich als kostenlose Lieferung nach Hause liefern lassen. Bislang müssen gesetzlich Versicherte die Behandlung über die „TeleClinic“ selbst bezahlen. Die AOK Rheinland/Hamburg ist nun eine der ersten Krankenkassen, welche die Kosten für Kinder übernimmt.

Gemeinsam mit einem Informatiker und einem Radiologen hat die Juristin Katharina Jünger die TeleClinic 2015 gegründet. „Damals waren solche Fern-Diagnosen noch gesetzlich verboten. Unter unserem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat die Digitalisierung im Gesundheitswesen aber einen großen Sprung nach vorne gemacht“, sagt Jünger. Seit Oktober 2018 sei es Ärzten erlaubt Diagnosen aus der Ferne zu stellen und Medikamente zu verschreiben. Das vom „Tele-Mediziner“ ausgestellte Rezept können die Nutzer in einer kooperierenden Apotheke direkt in der App einlösen und vor Ort abholen oder sich das Rezept nach Hause schicken lassen.

Viele Selbstzahler

Laut dem Start-up nutzen bereits 100.000 Menschen die „TeleClinic“. 91 Prozent von ihnen seien zufrieden. Bislang übernehmen allerdings noch die wenigstens Krankenkassen die Kosten. „Die meisten unserer Nutzer sind Selbstzahler“, sagt Jünger. Die AOK Rheinland/Hamburg sei nun die erste größere Krankenkasse, welche die Behandlung bei der „TeleClinic“ für Kinder bezahlt.

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