Bayaka oder: Abenteuer Deutschland

Gut, dass es Spitznamen gibt. „Bayaka“ – das kann man sich merken und sogar in Sachen Aussprache eine Idee entwickeln. Schwieriger wird die Sache bei Munkhbayasgalan Lkhagvajav – das sieht eher nach einem Großdruckfehler aus, ist aber der Name eines Gastes aus der Mongolei, der seit drei Wochen in Kleve lebt und lernt.

Ein Jahr in Deutschland

Bayaka ist 15 Jahre alt und kommt aus Ulaanbaatar, der Hauptstadt der Mongolei. Die Entfernung von Kleve in die mongolische Hauptstadt: 8.512 Kilometer. Luftlinie. Einwohnerzahl der Mongolei: 3.103.428 Millionen Einwohner. Mehr als eine Million wohnen allein in der Hauptstadt.(Quelle: Wikipedia)
Zurück nach Kleve: Drei Wochen lang hat Bayaka hier verbracht: Es war – gewissermaßen – ein Präludium im Kleinen. Am Wochenende geht es weiter nach Kamp-Lintfort. Dort wird Bayaka ein Jahr lang die Schule besuchen, bevor es zurück in die Heimat geht. In Kleve war Bayaka Gast bei Conny Krampe, Christian Thieme (beide Architekten) und deren Kindern Clara (14) und Alexander (17).

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Youth for understanding

Christian Thieme: „Zustande gekommen ist das Ganze auf Vermittlung von ‚Youth for understanding, (YFU), einer Organisation, die Auslandsaufenthalte für Jugendliche organisiert.“ Conny Krampe ergänzt: „Dass Gastfamilien gesucht werden, haben wir aus den Niederrhein Nachrichten erfahren.“ (Na bitte.) Bevor sich Eltern und Kinder für die Aufnahme eines Gastes entschieden, wurde das Ganze zunächst einmal durchgesprochen. Schließlich ist so etwas ein Eingriff ins Leben. Das sollte man nicht ‚mal eben so’ entscheiden.
Christan Thieme: „Was Bayaka drei Wochen lang in Kleve mitgemacht hat, war eine Art Crash-Kurs in Sachen Deutsch und deutscher Kultur.“ Der Unterricht, der an der Hochschule Rhein-Waal stattfindet, beginnt morgens um 9.15 Uhr, endet mittags um 14.45 Uhr und wird von zwei Lehrern betreut. Bayakan: „Wir haben Unterricht bei Julia und David.“

Unterrichtsbesuch

Julia Maier und David Röttger unterrichten die Neu-Ankömmlinge – drei Wochen lang stehen täglich sechs Unterrichtsstunden auf dem Programm. (Wochenenden sind natürlich ausgenommen.) Maier macht gerade ihren Master in Sachen Sprache. In ihrem Sprachprotfolio: Ukrainisch, Italienisch, Polnisch, Deutsch. Dass Deutsch nicht ihre Muttersprache ist, hört man nur, wenn man ‘eine Lupe über ihr gerolltes ‚r‘ schiebt’. David Röttger hat gerade seinen Master gemacht: Ostasienwissenschaft. Seine Sprachen: Chinesisch und Koreanisch. Als er seine erste Chinareise machte, kannte er die Sprache nicht. Er weiß, wie sich der Punkt Null anfühlt.
Der Unterrichtstag beginnt mit zwei Stunden Deutsch, gefolgt von zwei Stunden Orientierungskurs. Röttger: „Da geht es dann um das Leben in Deutschland: Schule, Familie, Kultur.“ Nach der Mittagspause stehen dann nochmal zwei Stunden Deutsch auf dem Plan. Schafft man nach drei Wochen Crash-Kurs den Übergang auf eine „ganz normale“ Schule? Röttger: „Das wird natürlich in den ersten Wochen garantiert nicht einfach, aber es wird funktionieren.“ Maier und Röttger wohnen – wie ihre Schüler auch – drei Wochen bei Gastfamilien.

Demnächst in ganz Deutschland verteilt. Bayaka und seine Kollegen mit den Lehrern David Röttger (l.) und Julia Maier (2.v.l.). NN-Foto: Rüdiger Dehnen

Andere Sprache – andere Welt

Zurück zu Bayaka. Immerhin – in Sachen Deutsch muss er nicht bei Null starten. „Ich hatte in der Mongolei schon zwei Jahre Deutschunterricht.“ Zur täglichen Unterricht fährt Bayaka mit dem Rad.
Im Familienleben in Kleve gilt als erste Regel: Man spricht Deutsch. „Und wenn‘s mal allzu sehr hakt, darf es auch Englisch sein“, sagt Conny Krampe.
Mongolei, das ist nicht nur eine andere Sprache mit anderen Schriftzeichen – es ist auch eine andere Welt. Eine, in der zurzeit die Quecksilbersäule bei minus 27 Grad steht. Zum „Familienfoto“ im Garten trägt Bayaka T-Shirt. Na bitte.
„Bayaka hat uns erzählt, dass es bei ihm zuhause nicht mal fließendes Wasser gibt.“ Dass er ein Jahr in Deutschland zur Schule gehen kann – dafür legt sich seine alleinerziehende Mutter ins Zeug. „Meine Mutter ist 45 und ich habe noch eine ältere Schwester“, erzählt Bayaka und Conny Krampe ergänzt: „Und demnächst wird Bayaka Onkel.“ Drei Monate wird es noch dauern bis dahin. Bevor Bayaka allerdings seine Nichte beziehungsweise seinen Neffen kennenlernen wird, vergeht noch ein Jahr. Fotos wird es wohl schon vorher geben, aber das Netz ist am Ende nicht das wirkliche Leben.

Neugierig

Wird man bei einem Gast aus der Mongolei eigentlich auch neugierig auf das Land? Christian, Conny und Clara sind sich einig: „Auf jeden Fall.“ Und natürlich wird längst darüber nachgedacht, „mal in die Mongolei“ zu reisen. Clara wird demnächst für ein halbes Jahr nach Kanada gehen. Sie ist gern unterwegs.
In den drei Wochen, die Bayaka in Kleve war, hat er natürlich nicht nur Unterricht bekommen. „Wir waren mit ihm bei einem Familienfest in Frankfurt“, erzählt Christian, der den Jungen auch zum Tischtennis mitgenommen hat, und mit Clara war Bayaka beim Basketball und hat sich ein Spiel angesehen. „Ja, ich mache auch Sport“, sagt der Gast: „Volleyball und Fußball.“

Übergangsfamilie

„Wir sind ja, was Bayakas Aufenthalt in Deutschland angeht, gewissermaßen seine Übergangsfamilie“, sagt Christian Thieme. Die drei Wochen sind fast abgelaufen. Das Fazit der Gasteltern: „Jederzeit wieder – zumindest die Drei-Wochen-Variante.“
Wie sieht es eigentlich mit der Verpflegung aus? Connys Thema: „Wir haben schon gelernt, dass in der Mongolei sehr viel und gern Fleisch gegessen wird. Dementsprechend freut sich Bayaka natürlich, wenn es Fleisch gibt.“ Bei Gemüse braucht es Überzeugungskraft. (Das kennt man doch von den eigenen Kindern.)
Wie sehen eigentlich die Familienabende aus? Christian Thieme: „Wir spielen Gesellschaftsspiele, aber es ist auch nicht selten so, dass Bayaka sich auf sein Zimmer zurückzieht.“
Wenn Bayaka zurück in die Mongolei geht, möchte er IT-Ingenieur werden.
„Warst du eigentlich vorher schon mal in einem anderen Land?“, fragt Thieme? Bayaka überlegt einen Augenblick. Die Frage wird noch mal in Englisch gestellt. „No.“ Deutschland ist der erste Auslandsaufenthalt für den jungen Mann. Chapeau. Und Chapeau auch für die Gastfamilie. So beginnt Völkerfreundschaft.
Derzeit sind übrigens Schüler aus Brasilien, Südafrika, Thailand, Mongolei für drei Wochen in Kleve. Zwei von ihnen stammen aus der Mongolei – beide kommen aus der Hauptstadt, aber wie es so ist in einer Millionenstadt: Man kennt sich nicht. Von Kleve aus geht es nun für die Austauschschüler in die verschiedensten Richtungen in Deutschland: Hamburg, Bremen, München Dresden. Bayaka hat es nicht weit zum zweiten und letzten Etappenziel, Kamp-Lintfort.

Kleve als Zwischenstation. Am Wochenende geht es für Bayaka (2.v.l.) nach Kamp-Lintfort. Ein Jahr Schule unter Realbedingungen. Wahrscheinlich wird er sich zwischendurch auch mal bei seiner „Übergangsfamilie“ melden: Christian Thieme (l.), Clara Thieme (2.v.r.) und Conny Krampe.NN-Foto: HF

YFU

Wer die Internetseite von YFU (Youth for Understanding) ansurft, findet folgenden Text: „Dich zieht es ins Ausland? Großartig! Bei einer interkulturellen Austauscherfahrung kannst du persönlich über dich hinauswachsen – deswegen machen wir Austausch für alle, unabhängig von der Schulform oder den finanziellen Möglichkeiten deiner Eltern!“

Youth for understanding im Netz

Die Möglichkeiten

Interessierte verbringen entweder ein Schulhalbjahr oder ein ganzes Schuljahr im Ausland. Es gibt verschiedene Schwerpunktprogramme: Musik, Kunst, Theater, Film, Basketball, Natur und Umwelt. Insgesamt 25 Länder in Nordamerika, Lateinamerika, Afrika, Europa, Asien und Australien gehören zum Auswahlspektrum.

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