Wie öffentlich ist der ÖPNV auf dem Lande wirklich?

Menschen im Rollstuhl können von Bus und Bahn oft nicht befördert werden, das muss sich ändern

KREIS WESEL. Immer wieder beklagen sich Menschen über das (Nicht-) Angebot des Öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV), doch bei den aktuellen Klagen geht es nicht nur um mangelnde Angebote, sonder um Ausschluss von behinderten Menschen.

Rechtsanspruch und tägliche Praxis klaffen für Menschen mit Behinderung oft noch weit auseinander.
Foto: pixaby

So wandte sich ein Herr L. (Name der Redaktion bekannt) aus Ossenberg an die Behindertenbeauftragte der Stadt Rheinberg, Monika Echstenkämper und berichtete: „Zum wiederholten Mal habe ich versucht, von Rheinberg Ossenberg mit dem Bus nach Moers zu fahren. Da ich im Rollstuhl sitze, war es mir – trotz Hilfe meiner Frau – nicht möglich, in die nicht behindertengerechten Ersatzbusse der Deutschen Bahn zu gelangen. Diese Busse haben steile Treppen und keine Rampe, so dass es nicht nur für Rollstuhlfahrer, sondern auch für Mütter mit Kinderwagen und Menschen mit Rollator unmöglich ist, diese zu benutzen.“
Ähnliches beobachtete Lukas Aster, Verkehrsexperte der Grünen. Er schreibt: „ Ein Seniorenpaar, bei welchem die Frau im Rollstuhl saß und weder aufstehen noch gehen konnte, versuchte, die Fahrt mit der RB 31 von Rheinberg nach Xanten anzutreten. Dies stieß auf unerwartete Schwierigkeiten. Das Personal erklärte, dass aufgrund des starken Neigungswinkels (ca. 30 Grad) es versicherungsrechtlich nicht mehr zulässig sei, eine Rampe zwischen Türkante und Niedrigbahnsteig anzulegen.“ Das Personal der Nord-West-Bahn habe sich korrekt verhalten, betont Aster und doch prangert er an: „Es ist grundsätzlich nicht hinnehmbar, dass bestimmte Personenkreise von der Beförderung durch die RB 31 ausgeschlossen werden. Das Ehepaar ist offenbar auf den ÖPNV/SPNV angewiesen. Die RB 31 ist für das Ehepaar wie für viele andere Reisende auch eine der wichtigsten Verbindungen im links­rheinischen Bereich und kann vor allem Richtung Xanten kaum sinnvoll durch andere Verkehrsangebote ersetzt werden.“

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“Das ist
diskriminierend“

Monika Echstenkämper, Berhindertenbeauftragt der Stadt Rheinberg zur Situation von Rollstuhlfahrern, die in Bussen und Bahnen nicht mitgenommen werden.

Er entrüstet sich: „Ich selbst sehe den Vorfall als eine de-facto-Diskriminierung vor dem Hintergrund, dass früher offenbar eine Beförderungsmöglichkeit bestand und jetzt nicht mehr. Die Verschlechterung der Beförderungssituation für mobilitätseingeschränkte Personen ist das ei-gentliche No-Go, die allen politischen Bestrebungen nach Inklusion und Teilhabe in Bund, Land und Kommune in geradezu bedrückender Weise widerspricht.“
Er hat daraufhin den Verkehrsbund Rhein Ruhr, die NordWestBahn und den Sozialverband VdK angeschrieben und hofft auf Lösungsansätze, wozu er auch Vorschläge gemacht hat.
Auf Lösungsvorschläge hofft die Behindertenbeauftragte aus Rheinberg schon lange. Doch Monika Echstenkämper sieht stattdessen eine Verschlechterung. Sie sitzt selbst im Rollstuhl. Sie berichtet: „Im April 2018 bat ich als Behindertenbeauftragte der Stadt Rheinberg um Einrichtung eines Taxi-Busses am Sonntag. Dieses wurde leider abgelehnt. Nun wurde die Fahrmöglichkeit weiter eingeschränkt.“ So konnte man in der Vergangenheit zu Zeiten, wenn die NIAG bei schwacher Nachfrage (abends und am Wochenende) keinen Bus einsetzte, einen Taxi-Bus ordern, wenn man mindestens eine halbe Stunde vor Abfahrt anrief. Mit diesem konnte man von der angegebenen Bushaltestelle zum Zielort fahren, weiß Monika Echstenkämper. Doch nun habe sie die Erfahrung gemacht, dass es diese Vereinbarung nicht mehr gäbe, stattdessen setze die NIAG für wenig genutzte Strecken anstatt eines Busses ein Taxi ein, das nach Fahrplan fährt. Doch diese Taxen nähmen keine Rollstuhlfahrer mit.
„Das ist diskriminierend! Haben doch Behinderte ,nach dem neuen BTHG das Recht auf gleichwertige Lebensbedingungen und selbstbestimmte Teilhabe am Leben, wie alle Menschen. Hier kommen ständig diesbezüglich Beschwerden an. Es muss dringend etwas geändert werden. Auch fehlt eine Fahrgelegenheit in den Außenbezirken am Sonntag“, macht sie ihrer Verärgerung Luft.
Und das nicht nur gegenüber den NN. Sie hat viele Telefonate geführt und mails geschickt an die Stadt Rheinberg, an die NIAG, an die Bahn, an den Kreis und daraufhin viel Mitgefühl erfahren – doch das war bisher alles. Die Zuständigkeiten sind für sie undurchschaubar, jeder verweist auf den anderen, verspricht sich für das Anliegen einzusetzen. Rückrufe lassen lange auf sich warten, auf eine positive Rückmeldung wagt sie kaum noch zu hoffen, seitdem ihr Peter Giesen, vorstand bei der NIAG und auch Heribert Hauer, beim Kreis Wesel für den Öffentlichen Personennahverkehr zuständig, gesagt haben, dass aus finanziellen Gründen keine Änderung angedacht sei. Sie erhielt den Tipp, doch ins Internet zu schauen, um den aktuellen Fahrplan einzusehen.
In dieser Beziehung stimmt sie mit Lukas Aster überein: „Die Verkehrspolitik hat sich JETZT der sozialen Verantwortung gegenüber den Schwächsten in der Gesellschaft zu stellen, nicht erst am Sankt-Nimmerleins-Tag.“

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