Packstation 107 unter Wind oder: Der schöne Holländer

Der zweite Tag im Prozess um groß angelegten Drogenhandel im Darknet brachte die ersten Zeugen: Zollbeamte aus Frankfurt. Erstmals bekam man einen Eindruck von der akribischen Recherche, die diesem Fall zugrundeliegt.

Frankfurt am Main

Die Geschichte beginnt am Frankfurter Flughafen. Dort laufen insgesamt 69 verdächtige Sendungen auf: die erste Spur. „Wir haben dann festgestellt, dass es Ähnlichkeiten bei den einzelnen Sendungen gab“, erklärt ein Zollbeamte. Die Rückverfolgung der Sendungen ergab, dass sie alle aus dem Raum Emmerich, Kleve, Rees stammten und an verschiedenen Post-Ämtern beziehungsweise Packstationen aufgegeben wurden. Auf dem Absender-Etikett einer Sendung ist fett gedruckt zu lesen: „To keep you healthy.“ Übersetzung: „Damit Sie gesund bleiben.“

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Der schöne Holländer

Eine Frau, die in einem Supermarkt an einer Annahmestation arbeitet, berichtet von einem „gut aussehenden Holländer“, der öfter mal da gewesen sei und ruft, als der Mann wieder auftaucht, die Behörden an. Längst ist man dem Holländer, von dem es mittlerweile zwar ein Bild aber keine Identität gibt, auf den Versen.
Längst vermutet man in ihm den Mann, der unter dem Namen „BerlinMannschaft“ bei der Internet-Plattform „Dream Market“ mit Drogen handelt, die dann in einer sogenannten Kryptowährung, Bitcoin, bezahlt werden. [Dream Market: Dream Market war ein Darknet-Markt, welcher 2013 gegründet wurde und sich auf den Verkauf illegaler Waren spezialisiert hat. Die Seite war als Hidden Service über das Tor-Netzwerk aufrufbar, welches einen anonymen Zugriff ermöglicht. Verkauft wurden unter anderem Drogen, gestohlene Daten und Waren sowie Produktfälschungen.“ [Quelle: Wikipedia]

Scheinkaufmaßnahmen

Eine erste Scheinkaufmaßnahme seitens der Zollfahndung findet statt. Später – eine zweite Scheinkaufmaßnahme hat stattgefunden – wird der „schöne Holländer“ observiert. Es ist der 16. August 2018. Um 11. 30 beziehen zwei Männer vom Zoll Frankfurt ihre Posten am Klever Bahnhof in der Nähe der DHL-Packstation 107. Sie haben ein Lichtbild des Mannes, der verdächtig ist. „Das Bild war allerdings mehr schlecht als recht“, berichtet der als Zeuge geladene Mann vom Zoll. Gegen 15 Uhr taucht der Holländer an der Packstation auf. „Wir konnten dann ein Bild von seinem Fahrzeug – einem Audi-Karbiolet mit niederländischen Kennzeichen – machen.“ „Waren Sie noch an weiteren Maßnahmen beteiligt?“, fragt der Vorsitzende Richter. „Nein.“ Zwei Minuten dauert die Aussage des zweiten Zeugen. Er ist aus Frankfurt angereist. „Hatten Sie Auslagen?“
Längst ist der Verdächtige in ein dichtes Fahndungsnetz eingesponnen. Später wird er in Holland festgenommen – das Ergebnis eines akribisch zusammengesetzten Puzzles, bei dem auch das Fahrzeug des Verdächtigen mit Peilsendern ausgestattet wurde. „So konnten wir aus den Daten lesen, dass der Mann sich oft in Deutschland und speziell in der Nähe von Postfilialen beziehungsweise Packstationen aufgehalten hat.“

Kein Einzeltäter?

Die Verteidigung kündigt für den dritten Verhandlungstag eine Erklärung ihres Mandanten an. In einer Erörterung unterhalten sich der Vorsitzende Richter und einer der beiden Verteidiger über den Stand der Dinge. „Natürlich hat es die Einfuhr gegeben. Das können wir nur schwer leugnen“, so die Verteidigung. Schwieriger werde es aber in Bezug auf die Fragestellung, ob der Angeklagte ein Alleintäter sei. Geldflüsse seien, so die Staatsanwältin, nicht nachweisbar. Richter an die Verteiger: „Wir würden uns natürlich wünschen, dass ihr Mandant uns persönlich Verständnis vermitteln würde.“ Die Kammer also würde lieber den Angeklagten persönlich hören als eine Erklärung der Verteidigung.

Mehr Bandbreite

Zwischendurch fragt man sich, wieso der Angeklagte immer wieder Postämter und Packstationen in Emmerich, Kleve und Rees für seine Versendeaktionen nutzte. Mehr Bandbreite bei der Auswahl der Postämter und Packstationen wäre wohl ratsam gewesen.

Woher kommen die Drogen?

In Holland finden die Fahnder zwar Hinweise darauf, dass der Angeklagte die Amphetamine, mit denen er handelte, selbst hergestellt hat, aber was ist mit den anderen Drogen? Es gibt keine Erkenntnisse. Seit der Verhaftung des Niederländers hat es bei „BerlinMannschaft“ keinerlei Bewegungen mehr gegeben. „Wir nennen so etwas einen Zombie Account“, erklärt einer der Zeugen. Noch etwas erfährt man: Wenn die Spezialisten von ‚unter Wind nehmen‘ sprechen, geht es um Observation.

Was wird aus den Kunden?

Was wird eigentlich aus den Kunden des Angeklagten? Sie werden mit Ermittlungen zu rechnen haben. Sofern sie aus Ländern stammen, mit denen die Bundesrepublik ein Rechtsabkommen hat, dürfte das kein Problem sein. Was aber ist mit einem Kunden aus Teheran? Wer im Internet „Iran, Strafe, Drogen“ eingibt, lernt bei Wikipedia: „Das iranische Drogengesetz bestraft einschlägige Tatbestände mit der Todesstrafe.“ Und: „Im Jahre 1989 wurde das Anti-Betäubungsmittel-Gesetz verabschiedet, das im Jahre 1997 und 2011 novelliert wurde. Es stellt eine große Anzahl von drogenbezogenen Tatbeständen unter Strafe. Für 17 Tatbestände sieht es zwingend die Todesstrafe vor. (…) In den zehn Jahren nach Einführung dieses Gesetzes wurden 10.000 Schmuggler hingerichtet, meist nach kurzen Prozessen, die von einem Offizier des Geheimdienstes geleitet wurden.“
Sind aber die Adressaten die wirklichen Empfänger? Schließlich sind die Absender auch nicht die wirklichen Absender. Denkfutter ist das allemal. Da ist die Staatsanwaltschaft – vom Gesetz angehalten, Ermittlungen zu führen – da ist aber auc das Wissen darum, wie in manchen Ländern mit Drogenkonsumenten- und Händlern verfahren wird.

Weiter im Oktober

Der Prozess gegen den Niederländer wird am 7. Oktober fortgesetzt. Für diesen Termin hat die Verteidigung eine Erklärung ihres Mandanten angekündigt.
Angefangen hat der zweite Verhandlungstag mit einer rund 30-minütigen Verspätung. Einer der beiden Verteidiger erklärte dazu: „Ich entschuldige mich für die Verspätung. Ich stand an der Tankstelle und dann gab es unterschiedliche Auffassungen über die Reihenfolge. Da wurde ich dann von jemandem angerempelt. Das musste dann deeskaliert werden.“

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