Sayed sucht einen Raum zum ungestörten Lernen

Aus Afghanistan geflohen und eine neue Heimat in Alpen gefunden, zum Bleiben ist eine Grundvoraussetzung, die Ausbildung zum Altenpfleger zu bestehen

ALPEN. Schule, abgeschlossenes Studium als Lehrer, beruflich im Einsatz als Journalist – die Welt steht Sayed Suliman Sadat offen. Doch dann ein Interview mit einer „falschen“ Person, das Aus in Sachen Pressefreiheit in Afghanistan. Zwei Anschläge auf sein Leben veranlassten den jungen Mann aus seiner Heimat zu flüchten.

Das Schlafzimmer muss Sayed Suliman Sadet mit seinem Cousin teilen, die anderen Räume mit einem weiteren Mann und einer Frau mit vier Kindern, die sich nicht verständigen können. NN- Foto: L.C.

Zwei Anschläge auf sein Leben veranlassten den jungen Mann aus seiner Heimat zu flüchten. Von Afghanistan kam er gemeinsam mit seinem Cousin nach Deutschland: Von Koblenz über Frankfurt, Köln und Gel­dern fand er eine neue Bleibe in Alpen zunächst in der Tennishalle, in der die Flüchtlinge 2015 untergebracht wurden. Und doch kehrte nicht wirklich Ruhe ein in das Leben des heute 32-Jährigen. Innerhalb von Alpen musste er in den letzten Jahren schon vier Mal umziehen. Zunächst zur Xantener Straße, dann zur Burgstraße 30, weiter zur Burgstraße 49 und sechs Wochen später zur Rosenstraße 18. Zum Glück hat er mit Sigrun Jacobs eine Unterstützerin, die ihn schon seit Jahren betreut und immer wieder hilft bei der Renovierung und Einrichtung der Zimmer, die meist mit mehreren geteilt werden müssen. Doch jetzt ist sie sauer: „Die letzte Wohnung in der Burgstraße war dermaßen runtergekommen, dass wir sie nach Feierabend stundenlang renovieren mussten und das alles nur für sechs Wochen bis Sayed mit vier weiteren jungen Männern von der Gemeinde das Haus in der Rosenstraße zugewiesen bekam. Immerhin bekam er dann ein eigenes Zimmer.“ Doch die Freude darüber hielt nicht lange. Die jungen Männer hatten sich gerade über die gemeinsame Nutzung von Bad, Wohnzimmer und Küche verständigt, als zwei von ihnen „umquartiert“ wurden in Containern am Passweg, weil nun eine Frau aus Pakistan mit ihren vier Kindern einzog. Sayed muss nun wieder das Schlafzimmer mit seinem Cousin teilen, Privat­sphäre gibt‘s nicht. Er zahlt für dieses Zimmer 240 Euro monatlich (vorher bei Alleinnutzung 273,60 Euro) und zusätzlich zahlt auch der Cousin. Im Bescheid der Gemeinde ist von 17,5 Quadratmetern Nutzfläche die Rede. Nutzfläche, die ein Hausmeister ohne Vorankündigung jederzeit aufsuchen kann. Nutzfläche, die geteilt wird von drei Afghanen und fünf Pakistani, die kein Wort Deutsch sprechen. Sayed arbeitet im Marienstift in Alpen, er ist im zweiten Ausbildungsjahr zum Altenpfleger. Innerhalb der Ausbildung muss er auch im Krankenhaus arbeiten, zur Zeit ist er im Hospiz in Rheinberg beschäftigt. „An meinem ersten Tag musste ich drei Menschen waschen, zwei von ihnen sind am gleichen Tag verstorben“, berichtet er. Eine psychische Belastung, mit der man fertig werden muss nach Feierarbend inmitten spielender tobender Kinder, der Fernseher läuft, in der Küche brotschelt etwas auf dem Herd, einen Rückzugsort gibt es nicht. Der Antrag von Sayed auf Asyl wurde abgelehnt, die Klage liegt beim Rechtsanwalt. Dieser „Schwebezustand“ erschwert die Zukunftsplanung. Doch er gibt nicht auf, weiß, dass er während der Ausbildung nicht abgeschoben werden kann und hofft darauf, bleiben zu dürfen, wenn er nach drei Jahren Ausbildung und zwei Jahren Berufseinsatz hier in Deutschland dringend gebraucht wird.
Doch das Lernen bereitet ihm Probleme. Auf Eigeninitiative hat er Deutsch gelernt (die Kurse werden nicht gezahlt für Afghanen), mit Hilfe von Sigrun Jacobs hat er den Ausbildungsplatz gefunden, in der Praxis ist er top, doch im Schriftlichen hapert es noch. Mit dem pensionierten Lehrer Herbert Terboven hat er einen super Deutsch-Lehrer gefunden, der ihn unterstützt. Aber: Er braucht Ruhe zum Lernen. „Ich möchte meine Ausbildung schaffen und weiter hier bleiben“, äußert er seinen Wunsch und fügt hinzu: „Ich würde so gerne eine bezahlbare Wohnung finden, in der ich in Ruhe lernen kann.“
Seine Hoffnung, im Sozialbau an der Ulrichstraße nach Fertigstellung eine Wohnung zu bekommen, hat die Gemeinde ihm genommen. „Sie haben Chancen auf dem freien Wohnungsmarkt fündig zu werden. Wir brauchen den Raum für andere, die weniger Chancen haben“, sei die Auskunft gewesen. Eine Enttäuschung, da man ihm ursprünglich die Wohnung in Aussicht gestellt habe.
„Ich verstehe das nicht, ich habe viel Kontakt mit anderen Geflüchteten, die hier in der Region leben. Sie haben seit Jahren ihr eigenes Zimmer. Warum muss man in Alpen so oft umziehen?“ Eine berechtigte Frage, die Flüchtlingskoordinatorin Andrea Kummer so beantwortet: „Die Gemeinde hat in letzter Zeit sehr viele neue Zuweisungen von Asylbewerbern bekommen, insgesamt 180 Personen müssen zur Zeit untergebracht werden und Kinder haben natürlich Vorrang, bei der Suche nach geeignetem Wohnraum. Es ist durchaus Usus, dass sich Zwei ein Zimmer teilen. Ich kann Herrn Sadet gut verstehen, kümmere mich natürlich weiterhin um sein Anliegen und hoffe, dass er in Alpen eine freie Wohnung findet.“ Außerdem macht sie auf einen Informationsabend aufmerksam, den die Flüchtlingshilfe am Dienstag, 4. Juni in der Flüchtlingsunterkunft am Passweg organisiert (19 Uhr), dort werden Fragen von Flüchtlingen und Bürgern beantwortet.

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