Holocaust-Überlebende macht
Gymnasiasten zu Zweitzeugen

Eva Weyls Botschaft: Es ist wichtig, über die Vergangenheit zu sprechen

EMMERICH. Die Überlebenden des Holocausts im Nationalsozialismus werden allmählich immer weniger – sie sterben schlichtweg aus. Die 82-jährige Eva Weyl ist noch eine von ihnen. Die Jüdin sprach vor Neuntklässlern des Willibrord-Gymnasiums in Emmerich über ihre Erfahrungen im Durchgangslager Westerbork, wo sie in ihrer Kindheit dreieinhalb Jahre lang lebte.

Die Schüler lauschten gespannt den Worten von Eva Weyl. NN-Foto: SP

 

Auch ihre Erinnerungen an diese Zeit sind allerdings nur noch begrenzt. „Was ich euch erzähle, ist zu 80 Prozent das, was mir von meinen Eltern erzählt wurde und was ich in Büchern darüber gelesen habe. Zu 20 Prozent sind es Empfindungen von mir selber”, sagte sie in Richtung der Gymnasiasten.

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Als Eva Weyl dreieinhalb Jahre alt war, kam sie gemeinsam mit ihren Eltern ins Durchgangslager im niederländischen Westerbork. „Es war grausam. Besonders die erste Zeit war schlimm. Es wurde viel geklaut und wir durften nur alle zehn Tage duschen”, sagte Weyl, die neben der niederländischen auch die deutsche und die schweizerische Staatsbürgerschaft besitzt. In dieser Zeit hätten ihr die warmen Worte ihrer Mutter geholfen. „Sie hat immer gesagt: Es kommt gut. Hab‘ Vertrauen.”

Trotz Gefangenschaft sei das Leben an sich aber völlig normal gewesen. Für die tausenden von Häftlingen habe es sogar ein Krankenhaus gegeben. Die Sterblichkeitsrate bei Säuglingen sei allerdings besonders hoch gewesen. „Viele Babys starben, denn es war kein richtiges Essen für sie da. Die Mütter waren zu nervös. Bei ihnen kam nicht genügend Milch und anderes Essen gab es nicht”, so Weyl. Eine Flucht sei aber kaum eine Möglichkeit gewesen. „Nur 250 Gefangene haben es geschafft”, sagte Eva Weyl.

Eva Weyl überlebte den Holocaust und erzählt seit zehn Jahren Schülern davon. NN-Foto: SP

Die heute 82-Jährige und ihre Familie gehörten nicht dazu. Sie konnten das Durchgangslager später aber trotzdem lebend entlassen. „Es war der 12. April 1945 als wir befreit wurden. Es war noch nicht das Ende des Krieges, aber Kanadier haben uns geholfen”, so Weyl, deren Familie eine von wenigen Überlebenden waren. „Es waren 107.000 Juden gefangen – nur 5.000 haben überlebt. Ich bin eine davon”, sagte Weyl zu den beeindruckten Schülern des Emmericher Gymnasiums.

Nach der Befreiung habe es für die Überlebenden Weißbrot und Schokolade sowie amerikanische Zigaretten für die Erwachsenen gegeben. „Das war schön”, erinnerte sich Weyl. Das Gefühl der Angst habe sie aber noch weiterhin begleitet. „Wir hatten ja nichts mehr. Alles war den Juden enteignet worden. Wir mussten uns durchschlagen”, berichtete die Mutter und Oma von mehreren Enkelkindern.

Seit zehn Jahren erzählt Eva Weyl Schülern in den Niederlanden und in Nordrhein-Westfalen ihre Geschichte. Sie möchte die Jugendlichen zu sogenannten „Zweitzeugen” machen, die sich die Geschehnisse im zweiten Weltkrieg von echten Zeitzeugen angehört haben. Denn es sei wichtig, darüber zu sprechen, findet Weyl.

„Haben Sie Anne Frank  kennengelernt?”

Die Neuntklässler hatten sich im Unterricht bereits mit dem Thema Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Eine Schülerin fragte: „Haben Sie Anne Frank (deutsche Jüdin, die im Nationalsozialismus ermordet wurde, Anm. d. Red.) kennengelernt?” Anne Frank war für kurze Zeit auch im Durchgangslager Westerbork. „Sie war aber ein paar Jahre älter als ich. Deshalb hätte ich sie wohl nie kennengelernt”, sagte Weyl. Erstaunt waren die Neuntklässler aber, als sie erzählte, dass sie mit der Tochter von Albert Konrad Gemmeker, einem ehemaligen SS-Obersturmführer und Lagerkommandanten in Westerbork, heute befreundet ist. „Sie kann ja nichts dafür, was ihr Vater gemacht hat”, fand Weyer. Es sei wichtig, nicht zu generalisieren und nicht zu diskriminieren.

Abschließend gab sie deshalb den Schülern noch eine weitere wichtige Botschaft mit auf den Weg: „Ihr seid nicht verantwortlich für die Vergangenheit. Aber Ihr seid dafür verantwortlich, was Ihr aus der Vergangenheit macht.”

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