„Ich wünsche mir mehr junge Menschen in den Parteien“

Bundestagspräsident Norbert Lammert diskutierte mit FSG-Schülern in Geldern

GELDERN. „Schafft sich die Demokratie selber ab?“ – die Oberstufenschüler Jonas Diepers, Till Croonenbroeck und Nele Thielmann begrüßten Bundestagspräsident Norbert Lammert zu einer spannenden Diskussionsrunde im Forum des Friedrich-Spee-Gymnaisums in Geldern. Um „Herausforderungen und Selbstverständnis einer wehrhaften Demokratie“ ging es an diesem Vormittag. Es waren Fragen zu brandaktuellen Themen wie NPD-Verbot, AfD und Donald Trump, die den jungen Erwachsenen unter den Nägeln brannten. Damit bewiesen die Schüler der Jahrgangsstufen Q1 und Q2, dass Politikverdrossenheit für sie kein Thema ist.

Geldern, Norbert Lammert im Friedrich-Spee-Gymnasium, Fragerunde © gerhard seybert
Geldern, Norbert Lammert im Friedrich-Spee-Gymnasium, Fragerunde
© gerhard seybert

Norbert Lammert, der auf Einladung von Geschichts- und Sowi-Lehrer Stefan van Wickern nach Geldern gekommen war, stieg mit einem Obama-Zitat in die Gesprächsrunde ein: „Die Demokratie ist dann am meisten gefährdet, wenn die Menschen anfangen, sie für selbstverständlich zu halten.“ Diese Position sollte sich wie ein roter Faden durch die Diskussion ziehen. Denn Lammert, der seit 2005 Präsident des Deutschen Bundestages und damit zweithöchster Würdenträger dieses Landes ist, machte wiederholt deutlich: „Demokratie steht und fällt mit den Menschen.“ Er warb für mehr politisches Engagement – sei es in einer politischen Partei, in einer Bürgerinitiative oder in anderen Vereinen. „Ich wurde in meiner Schulzeit politisiert, einer meiner Lehrer hat mich mit seiner souveränen Meinungsbildung damals positiv beeinflusst und beeindruckt“, erinnerte sich der 68-Jährige. Moderator Till Croonen­broeck stieg mit der ersten Frage in die Diskussion ein: „Warum muss sich Demokratie schützen, wenn das Volk regiert?“ Die Antwort kam prompt: „Weil man das Volk gelegentlich vor sich selbst schützen muss.“ Lammert betonte: Gesichert werde die Freiheit der Menschen in einer Demokratie durch den Rechtsstaat.
Mit der Rolle des Bundesverfassungsgerichts und seiner möglichen Anfälligkeit für verfassungsfeindliche Strömungen ging es weiter. Lammert führte die Personalwechsel in den USA und der Türkei als Beispiele dafür an, dass eine institutionelle Neubesetzung weitreichende Folgen für eine Demokratie haben kann. Dass jedoch „nur Vollidioten oder Extremisten“ zu Bundesverfassungsrichtern gewählt würden, sei aber extrem unwahrscheinlich. Mit Blick auf die Diskussion um das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren gab er zu bedenken: „Wenn ein Volk den Glauben an die Demokratie verliert, wird sie nicht aufrecht zu halten sein.“ Gleichzeitig nannte er das deutsche Grundgesetz eine „der besten Verfassungen weltweit“. Er habe zahlreiche Staatsleute getroffen, die dies bestätigt hätten. Das liege nicht zuletzt an den ersten 20 der insgesamt 150 Artikel, die als Grundrechte unverändertbar sind. Lammert: „Rede-, Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und auch Religionsfreiheit stehen hier einfach nicht zur Disposition.“ Denn, wiederholte er: „Der Rechtsstaat schützt die Freiheit.“
Der Umgang des Staates mit den politischen Parteien stand im Mittelpunkt des zweiten Teils der Diskussion. Jetzt stellten Sonja und Judith Martens aus der Q2 und die beiden Ehemaligen Nils Franz und Romans Pastoors die Fragen. Mit Blick auf die jüngste Tagespolitik positionierte sich Lammert eindeutig: „Höcke ist schwer erträglich, man muss und kann sich aber mit ihm auseinander setzen. Seine Äußerungen zum Mahnmal in Berlin waren dämlich aber zulässig.“ Auch polemische Aussagen seien gedeckt von der Meinungsfreiheit. Besorgniserregend sei seine wachsende Anhängerschaft. Es gebe keinen „Königsweg“ im Umgang  mit einer Partei wie der AfD. „Prinzipielle Dialogverweigerung ist keine Lösung. Aber man muss sich auch nicht mit jeder Dumpfbacke an einen Tisch setzen“, so Lammert.
„Ist unsere Demokratie akut bedroht?“, wollten die Schüler wissen. „Prinzipiell ja“, antwortete Lammert, „da sie von ihren eigenen Anhägern abhängt.“ Die große Konsenzfähigkeit der Parteien im Bundestag sei ein Problem, wenn sich die Wähler in den Entscheidungen nicht mehr vertreten sähen. „Daraus entsteht der Nährboden für alternative Strömungen.“ Es müsse sich zeigen, „ob die AfD eine Alternative ist oder schlicht eine Stimmungskanone und Projektionsfläche für allen möglichen Frust.“ Zwei Drittel ihrer Wähler hätten sie nicht wegen ihres Parteiprogramms gewählt sondern als Sig­nal an die etablierten Parteien.
Seinen jungen Zuhörern konnte Lammert nur raten: „Wer sich nicht politisch engagiert, überlässt denen, die sich engagieren, das Feld zur Entwicklung dieses Landes. Ich wünsche mir mehr junge Menschen in den Parteien. Denn das ist der wirkungsvollste Hebel zur Beeinflussung der Dinge in diesem Land.“

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