„Wenn die Tagesform stimmt,
    ist selbst das Finale möglich“

    Ex-Handball-Nationalspieler Reinhard van der Heusen aus Kleve im Interview zur WM in Frankreich

    KREIS KLEVE. Die Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft neigt sich für die deutsche Handball-Nationalmannschaft dem Ende zu. Das vorletzte Testspiel gegen Rumänien endete mit einem überzeugenden Sieg, nun wartet noch das österreichische Team auf „unsere Jungs“. Und dann geht es endlich nach Frankreich, wo am 13. Januar mit dem ersten Gruppenspiel gegen Ungarn für den amtierenden Europameister der Start in die WM erfolgt.

    So kennt man Reinhard van der Heusen aus seiner aktiven Zeit: wurfgewaltig und mit großer Sprungkraft ausgestattet. Foto: privat
    So kennt man Reinhard van der Heusen aus seiner aktiven Zeit: wurfgewaltig und mit großer Sprungkraft ausgestattet. Foto: privat

    Die Aufregung wird größer, das Kribbeln steigt. Einer, der genau weiß, wie sich das anfühlt, ist Reinhard van der Heusen. Der gebürtige Klever, dessen Handballkarierre beim VfL Merkur Kleve begann, bevor er zum OSC Rheinhausen und dann zu TuSEM Essen wechselte, schlüpfte acht Jahre lang ins Nationaltrikot. NN-Redakteurin Ingeborg Maas sprach mit dem 63-jährigen Ex-Nationalspieler, der auch heute noch seinem Sport eng verbunden ist, über die Chancen fürs Deutsche Team und über die Veränderungen, die der Handballsport in den letzten Jahren erfahren hat.

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    Herr van der Heusen, nur zur Einordnung: Wer waren damals Ihre Weggefährten im Nationalteam?
    Reinhard van der Heusen: Ich gehörte zum Kader der Truppe, die 78 Weltmeister wurde und von denen heute wohl noch  Heiner Brand, Kurt Klühspieß, Gerd Rosendahl, der verstorbene Erhard Wunderlich und Jo Deckarm die bekanntesten Namen sind. Leider zog ich mir eine sehr langwierige Sprunggelenksverletzung zu, so dass ich 1978 nicht für die WM in Dänemark nominiert werden konnte.

    Kann man die heutigen Profis überhaupt noch mit den Handballern von damals vergleichen?
    Van der Heusen: Nein, absolut nicht. Das sind  heute Vollprofis, während wir noch, zumindest was den Trainingsaufwand betraf, mehr oder weniger Amateurstatus hatten. Viele von uns haben ja ganz normal gearbeitet und sind dann nach Feierabend drei bis viermal pro Woche zum Training gegangen. Heutzutage wird mehrere Male am Tag trainiert, das ist der einzige Beruf der Spieler.

    Ist es denn heute auch schwerer als damals, überhaupt in die Nationalmannschaft hineinzukommen?
    Van der Heusen: Jein. Das Problem, das wir im Deutschen Handball – und auch in anderen Ländern – haben, ist, dass wir einen sehr hohen Ausländeranteil an Spielern haben. Das ist jetzt aber nur meine ganz subjektive Meinung. Heutige Bundestrainer müssen sich die Spieler, die das Potential für die Nationalmannschaft haben, aus den einzelnen Clubteams herauspicken, obwohl sie da teilweise noch nicht mal zur ersten Sechs oder Sieben gehören. Das ist gar nicht so einfach.

    Dann kann es aber eben auch passieren, dass junge Spieler, die vorher relativ unbekannt sind, im Laufe eines Turniers plötzlich explodieren, wie beispielsweise Julius Kühn bei der EM?
    Van der Heusen: Da sind mehrere Spieler sozusagen „explodiert“, weil sie die Chance bekommen haben. Aber generell haben wir meiner Meinung nach einen zu hohen Ausländeranteil in den Teams und es ist für jeden Bundestrainer schwer, seine Talente wirklich zu finden.

    Das Deutsche Team wurde in Frankreich in eine Gruppe mit Ungarn, Chile, Saudi-Arabien, Weißrussland und Kroatien gelost. Eine schwere Gruppe?
    Van der Heusen: Eigentlich nicht. Ungarn und Kroatien sind natürlich starke Gegner, da wird aufgrund der enormen Leistungsdichte in Europa die Tagesform entscheiden. Zwei Teams sind ja eher Handball-Exoten, also da müsste die Hauptrunde auf jeden Fall erreichbar sein.

    [quote_box_left]Vorrunde Gruppe C
    Freitag, 13. Januar
    Deutschland – Ungarn, 17.45 Uhr
    Sonntag, 15. Januar
    Chile – Deutschland, 17.45 Uhr
    Dienstag, 17. Januar
    Deutschland – Saudi-Arabien, 17.45 Uhr
    Mittwoch, 18. Januar
    Weißrussland – Deutschland, 17.45 Uhr
    Freitag, 20. Januar
    Deutschland – Kroatien, 17.45 Uhr

    Finalrunde
    Achtelfinale
    Samstag, 21., u. Sonntag, 22. Januar
    Viertelfinale
    Dienstag, 24. Januar
    Halbfinale
    Donnerstag, 26., und Freitag, 27. Januar, beide 20.45 Uhr
    Spiel um Platz 3
    Samstag, 28. Januar, 20.45 Uhr
    Finale
    Sonntag, 29. Januar, 17.30 Uhr[/quote_box_left]Das wäre das Minimalziel. Und wie beurteilen Sie die weiteren Chancen? Es sind ja viele verletzte Stammspieler zu beklagen.
    Van der Heusen: Na ja, wenn sie sich wieder zusammenraufen wie bei der EM, dann haben sie sicher eine Chance, ins Halbfinale oder sogar noch weiter zu kommen. Das wird aber jeweils von der Tagesform abhängen und davon, ob und wie sich die Jungs aufgrund von Siegen wieder euphorisieren. Wenn sie das schaffen, dann ist alles möglich. Es werden sicher auch bei der Weltmeisterschaft die europäischen Mannschaften ganz vorne stehen, weil der Rest der Welt einfach noch nicht so weit ist. Und da entscheiden Nuancen und eben jeweils die Tagesform über Sieg und Niederlage. Ich schätze, das wird sich zwischen Dänemark, Frankreich, Kroatien, Spanien und Deutschland heraus kristallisieren, wer bei diesem Turnier die Nase vorn hat.

    Werden Sie die Spiele sehen können?
    Van der Heusen: Leider habe ich aus beruflichen Gründen nicht die Zeit, nach Frankreich zu fahren. Und ob etwas im Fernsehen übertragen wird, das steht ja leider immer noch nicht fest. Es wäre aber ein Unding, wenn gar keine Live-Übertragungen zu sehen sein sollten.

    Haben Sie heute noch Kontakt zu Ihren ehemaligen Mitspielern und auch zum Handball generell?
    Van der Heusen: Nach dem Unfall von Joachim Deckarm, der ja heute ein Pflegefall ist, haben die damaligen Weltmeister regelmäßig Benefizspiele gemacht, so etwa sieben pro Jahr. Und als dann so die ersten „abbröckelten“ und nicht mehr spielen konnten, hat man mich wieder dazu eingeladen und ich habe noch bis 2007 mitgespielt. Außerdem machen wir einmal im Jahr eine gemeinsame mehrtägige Freizeit, das ist sowohl für Jo Deckarm als auch für alle anderen immer ein absolutes Highlight, so dass ich also zu dieser Truppe noch regelmäßigen Kontakt habe.

    Inzwischen haben Sie Ihre Handballschuhe endgültig an den Nagel gehängt?
    Van der Heusen: Ja, das habe ich. Und für mich war es ganz wichtig, dass ich meine Karriere dort beenden konnte, wo sie begonnen hat: beim VfL Merkur Kleve. Ich hatte beruflich von 2007 bis 2010 in Kleve zu tun und habe in dieser Zeit die Männermannschaft trainiert. Erst konnte ich mich noch gegen das Mitspielen wehren, aber dann hat man mich doch überredet und ich habe wieder für den VfL gespielt. Und so hat sich für mich der Handballkreis wunderbar wieder in Kleve geschlossen.

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