Seit 600 Jahren Emmerichs

Wohnzimmer am Rhein

EMMERICH. Jeder hat eines, manche sogar zwei. Boris Becker hatte seines in Wimbledon, Michael Schumacher in Spa-Francorchamps. Viele Emmericher haben ihres direkt an der Rheinpromenade. „Es gibt Leute, die sagen: Hier bei euch ist mein Wohnzimmer“, erzählt Marcel Meisters, der mit seiner Lebensgefährtin Manuela Pertz die Gaststätte „Onder de Poort“ betreibt. Ein großes Lob für die beiden Pächter der ältesten Kneipe in Emmerich.

15 Stunden täglich steht Manuela Pertz hinterm Thresen des „Onder de Poort“. Im Hintergrund: „ein paar“ Knobelbecher.
15 Stunden täglich steht Manuela Pertz hinterm Thresen des „Onder de Poort“. Im Hintergrund: „ein paar“ Knobelbecher.

Die Geschichte des damaligen Wirtshauses reicht zurück bis in Jahr 1414. Es überdauerte die Jahrhunderte, bis zum 7. Oktober 1944, als auch „Onder de Poort“ beim britischen Luftangriff auf Emmerich vollständig zerstört wurde. Beim Wiederaufbau wurde das heutige Haus als Schutz gegen Hochwasser anderthalb Meter höher gelegt und erhielt zudem eine Terrasse – von der auch die heutigen Pächter noch profitieren. „So haben unsere Gäste ein freies Blickfeld auf den Rhein“, sagt Marcel Meisters.

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Bevor der 48-Jährige und Manuela Pertz (40) die Kneipe an der Rheinpromenade 24 im August 2013 übernahmen, hatte eine echte Emmericher Institution 60 Jahre lang hinter dem Tresen gestanden: Alice Kemkes, genannt „Tübbe“. Nachdem sie sich Ende August 2011 zur Ruhe gesetzt hatte, stand „Onder de Poort“ zwei Jahre leer – bis Pertz und Meisters kamen. „Wir haben die Kneipe erst einmal kernsaniert“, sagt Meisters. Rund 100.000 Euro wurden investiert, doch immer mit Blick darauf, den „Ursprung“ der Gaststätte zu erhalten: die Atmosphäre und das Ambiente, das die Emmericher­ kennen- und schätzengelernt haben.

Dies ist gelungen. Herausgekommen ist eine Mischung aus gutbürgerlichem Speiselokal und uriger Eckkneipe, die den Charme des alten „Onder de Poort“ behalten hat – zu rund 80 Prozent, wie Meisters sagt. „Unser Ziel war es, die Stammgäste zurückzuholen. Wir haben aber ebenso viele neue Gäste gewonnen, auch jüngere um Anfang bis Mitte 20.“ Die neuen Pächter legten von Beginn an Wert darauf, dass die Gäste eine familiäre Atmosphäre vorfinden, „dass es untereinander passt“, beschreibt Meisters. Das Ergebnis: Der Vater besucht mit seinem Sohn ebenso die Gaststätte wie Gruppen von Frauen. Für die große Zahl der Stammgäste findet sich übrigens direkt hinter dem Tresen ein Beleg: eine beeindruckende Batterie von Knobelbechern. Auch zwei Dart-Teams gehören zur treuen „Kundschaft“.

Doch mit einem Kneipenbetrieb allein ist heute kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Das war auch Pertz und Meisters klar, als sie „Onder de Poort“ übernahmen. So war von Beginn an ein Speisenangebot vorgesehen. Ab 10 Uhr Frühstück, dann Mittagstisch und Abendessen, und ab 17 Uhr beginnt der Kneipenbetrieb – die Plätze am Tresen füllen sich. „Das weitere Konzept hat sich dann entwickelt“, erzählt Meisters. Soll heißen: Im Laufe der Zeit traten immer wieder Bands im „Onder de Poort“ auf, erst nur sporadisch, dann immer regelmäßiger. Irgendwann folgten auch der „Jam am Sonntag“ einmal im Monat und Charity-Konzerte. Ganz neu im Programm: das Emmericher Song-Festival, heute Abend ab 20 Uhr. Drei Bands – Best Before, Seaside Music, Snitlev – spielen Songs mit Texten von Emmerichern über Emmerich.

[quote_box_left]Trikot gewinnen
Im „Onder de Poort“ werden auf Leinwand und Flachbildschirmen auch die Spiele der Fußball-EM gezeigt (ansonsten laufen hier auch die Partien der Fußball-Bundesliga).
Zu den Spielen der deutschen Nationalmannschaft gibt es bei einem Tippspiel jeweils unter anderem ein Original-Trikot der DFB-Elf zu gewinnen.[/quote_box_left]Das Konzept ist aufgegangen, „seit drei Jahren geht es nur bergauf“, freut sich Meisters, „das Geschäft läuft besser, als wir bei der Übernahme vermutet hatten“. Dafür müssen die beiden Pächter aber auch Kompromisse eingehen. Urlaub? Klar, aber nur selten und nie länger als maximal fünf Tage. Denn „Onder de Poort“ ist an 365 Tagen im Jahr geöffnet – ab 10 Uhr durchgehend bis Mitternacht, am Wochenende auch schon mal bis zum nächsten Morgen. „Deshalb ist es uns auch so wichtig, dass wir unsere Gäste kennen“, sagt Meisters. „So haben wir weniger das Gefühl, dass es Arbeit ist.“

Zwei feste Mitarbeiter halten dem Paar den Rücken frei, dennoch: „Manuela steht in der Regel 15 Stunden täglich hinterm Tresen, sie leistet den Hauptteil der Arbeit“, verrät Meisters, der selbst noch als Straßenbauer in den Niederlanden beschäftigt ist. Auch in der Küche schwingt die Chefin selbst das Zepter – oder besser den Kochlöffel. Herrscht viel Betrieb, übernehmen die Mitarbeiter den Service. „Die Küche haben wir übrigens erst vor vier Monaten komplett modernisiert“, ergänzt Meisters.

Apropos Küche: Die ist durchaus ungewöhnlich für eine solche Gaststätte, denn eine Fritteuse sucht man hier vergebens. „Das war ein Anliegen der Besitzer, der Familie Tjaben-Stevens“, sagt Meisters. Entsprechend gibt es auf der Karte auch keine Pommes Frittes, sondern Bratkartoffeln. Beschwerde? Auf keinen Fall! „Für uns hat sich das als Glücksfall erwiesen, denn die Leute kommen zu uns, weil sie wissen, dass beispielsweise unsere Schnitzel eben nicht aus der Fritteuse kommen.“

Fazit: Es läuft im „Onder de Poort“, was aber nicht bedeutet, dass sich Pertz und Meisters nun erst einmal ausruhen würden. „Wir denken ständig über neue Ideen nach“, verrät Meisters. So soll Ende des Jahres die Terrasse saniert und dort unter anderem ein neuer Boden verlegt werden. Auch eine feste Überdachung anstelle der Markise ist zu einem späteren Zeitpunkt angedacht.

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