Darwin und Mucksmaus

EMMERICH. Für ein paar Minuten ist die Mucksmaus auf Besuch. Nicole spricht – die Kinder hören zu. Es geht um Kunst und das Großeganze. Es geht darum, dass irgendwann im Sommer die Emmericher Rheinschule eine „Miteinander Sitzskulptur“ haben soll.
Nein – das ist jetzt nicht gut erklärt. Das klingt so, als käme man morgens in die Schule und die Kunst ist da. Wie ganz von selbst. Von wegen. Die Sache geht anders. Erstens: Die Kunst wird von den Schülern gemacht. Zweitens: Die Idee kommt auch von den Schülern. Drittens: Jetzt werden Ideen gesammelt. Viertens: Was ist eigentlich eine Skulptur? Das kann später erklärt werden. Fest steht: Es geht um eine Idee, auf der man sitzen kann. So ungefähr jedenfalls …
Ein Raum im Ganztagsbereich der Emmericher Rheinschule. Auf den Tischen vor den Kindern: Tüten mit Ton. Und Bücher. Nicole Peters erklärt, wie aus Ton irgendwas werden kann – ein  Zebra zum Beispiel. „Alles kommt aus dem Ei“, sagt Nicole Peters. Der gute Darwin würde jetzt in Schockstarre geraten, aber der Osterhase wird Spaß finden an diesem Gedanken. Eigentlich ist das Ei ja auch eine Kugel. Sie wird zwischen den Handflächen „gemahlen“ und könnte auch als Brötchen enden. Immerhin: Ton und Brötchen haben einen gemeinsamen Nenner: Ofen.
Irgendwie schafft es die Nicole jedenfalls, dass aus ihrer Kugel ein Zebra wird. Alles sieht so aus,  als ob es ganz einfach sei. Ist es aber nicht.  Egal. Auf den Tischen liegt nicht nur Ton – da liegen auch Bücher. Die Bücher helfen bei der Tierkonstruktion. „Wie geht noch mal der Popo von einer Eidechse?“ Berechtigte Frage. Das Buch gibt optisch Auskunft. Nicole erklärt noch, dass es schwer ist, ein Zebra aufrecht in Beton zu gießen. Sie erklärt, warum das schwierig ist. Es hat etwas mit Kraft und Eisenbiegen zu tun. Egal. Besser ist es jedenfalls, wenn das Zebra liegt. „Malen wir auch Streifen da drauf?“, fragt Sarah. Abersicherdoch! Sarah ist gerade mit dem Bau einer Schildkröte befasst. Die Sache mit dem Ei überschlägt sie mal kurz. Es geht schließlich auch anders.
„Was ihr macht, muss übrigens kein Tier sein. Es darf irgendwas sein“, erklärt Nicole, und einer der Jungs baut etwas, das an ein Flugzeug erinnert. Warum auch nicht? Kann man auch drauf sitzen. Wenn es sich auf einem Frosch sitzen lässt, dann auch auf einem Flugzeug. „Dürfen wir auch Blumen machen?“, fragt eines der Mädchen. Könnte schwierig werden. Langer Stiel und Blüte? Das ist wie das stehende Zebra. Von wegen. „Wir könnten doch eine Seerose bauen.“ Das ist nun wieder richtig. Großer Teller – Blüte mittig. Da ist viel Sitzplatz. Längst ist das Mucksmäuschen abgereist. Die Kinder diskutieren. Tauschen sich aus. Begutachten die entstehenden Entwürfe. Das Problem: Am Ende wird nur ein Entwurf genommen. Kunst und Demokratie treffen aufeinander. Irgendwann wird abgestimmt werden. Irgendwann werden die besten Entwürfe nebeneinander stehen – und dann wird gewählt. Was die meisten Stimmen bekommt, wird am Ende gebaut. Am Ende – das sind die Sommerferien. Das ist noch ein bisschen hin. Und das zählt momentan aber auch so was von gar nicht … Es gibt anderes zu tun. Nicole – sie ist Künstlerin und leitet das Projekt – geht von Tisch zu Tisch und schaut sich Entwürfe an. Hier und da gibt es statische Probleme bei den Konstruktionen. „Wenn du das so machst, fallen die Beine ab.“ (Aha. Das ist Statik. Merke: Statik hat irgendwas mit Stehenbleiben zu tun.) Sarahs Schildkröte ist Nicole ein bisschen zu flach geraten. Da kann Aufbauarbeit betrieben werden. „Und was mach ich, wenn die Schildkröte fertig ist?“ „Dann machst du noch was anderes.“ Apropos machen: Nicole macht das hier nicht zum ersten Mal. Falsch: Sie macht das hier zum ersten Mal. Man muss das hier betonen. Nicole hat schon anderswo mit anderen Kindern das gebaut, was sie „Miteinander Sitzskulptur“ nennt. So ist der „Gorilla Willi“ entstanden. Eigentlich ist er entlegen. Merke: Was steht, ist schwer zu machen. Willi liegt. Gorilla ist er trotzdem. Schön bunt ist er auch. Kein Gorilla ist so bunt wie Willi. Aber: Kunst darf das. Die Kinder bauen nicht für Brehms Tierleben sondern für den Spassannefreud. Willi zeigt auch: Demokratie  ist, wenn am Ende alle den Affen machen. Die Erfahrung, pardon, die Erbauung zeigt: Der Weg ist natürlich ein Teil des Ziels. Es lässt sich eine Menge lernen. So wird es auch für die rund 40 Teilnehmer des Projekts (Klassen eins bis vier) an der Emmericher Rheinschule sein. In den Sommerferien wird dann aus den Entwürfen schulhof- und sitztaugliche Wirklichkeit. Und dann heißt es: „Kumma, ham wir selbst gemacht.“
P.S. Am Ende einer Stichwahl gewann ein Chamäleon (37 Stimmen) gegen ein Schnabeltier (11 Stimmen). Heiner Frost

Sarah und ihre Schildkröte. NN.Foto: HF
Sarah und ihre Schildkröte. NN.Foto: HF
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