“Zwischen Truckern und Autofahrern gibt es viele Missverständnisse”

Der einstige Fernfahrer Rainer Ballack hat ein Buch über das System Lastverkehr geschrieben

GELDERN. „Der hing mir im Nacken“ oder „der ließ mich nicht vorbei“: Kein Autofahrer, der sich nie über „Brummis“ geärgert hat. Dass viele unverständliche Manöver von LKWs einen Sinn haben oder dass nicht jeder Trucker, der in einen Unfall verwickelt wurde, müde war – auch hiermit möchte der einstige Fernfahrer Rainer Ballack in seinem Buch „Wahnsinn LKW“ aufräumen. Der ehemalige Gelderner nimmt aber auch das „System Lastverkehr“ vor und nach der Wende kritisch auf‘s Korn.

Rainer Ballack in den achtziger Jahren vor seinem Dienstfahrzeug Foto: privat
Rainer Ballack in den achtziger Jahren vor seinem Dienstfahrzeug
Foto: privat

„Am 17. Mai 2010 bin ich gestorben,“ erinnert sich Rainer Ballack. Nach mehrfachem Organversagen, Wiederbelebung und wochenlangem Koma sei nach über 20 Jahren Feierabend gewesen mit seinem Fernfahrer-Leben. Wie „Manne“ Krug in der TV-Serie „auf Achse“ hat er einst Trucker werden wollen. Hatte davon geträumt, mit einem 40-Tonner die Mittelmeerküsten zu befahren. Auch davon erzählt das erste Kapitel („Statt Rente mit 67, kaputt mit 60“) in Ballacks Buchs. Rainer Ballack, der inzwischen in Brandenburg lebt, schildert auf 260 Seiten seine Erlebnisse als Fernfahrer. „Ich transportierte ab Mitte der Achtziger Überseecontainer aus vielen Ecken der Erde quer durch Europa“, erinnert er sich. Ohne Blatt vor dem Mund schreibt er über: Manipulation, Betrug, Diebstahl und Tricksereien. Er wollte aber auch Licht in die vielen Missverständnisse bringen, die zwischen LKW- und Autofahrern existieren. Ballack: „Viele sind mit der Fahrweise von LKWs nicht einverstanden, aber es gibt Dinge, wo man von außen nicht erkennen kann, warum das so passiert ist.“ Warum der LKW etwa scheinbar spontan überholt, ohne auf irgendetwas zu achten. „Es gibt so viele Situationen, die man als Verkehrsteilnehmer nicht begreift. Ich habe Situationen beschrieben vor und in Baustellen, warum und wie LKWs den PKW-Verkehr blockieren, welche Absprachen über Funk getätigt werden, welche Einstellung ein gestresster LKW-Fahrer gegenüber PKW-Fahrern hat.“ Ballack weiter: „Mir ging das Fahrverhalten vieler PKW-Fahrer einfach gegen den Strich, weil es gefährlich war.“ Wenn etwa ein PKW in einer schmalen Baustellenfahrspur einen LKW nicht zügig übeholt, sei dies eine kniffelige Situation. „Man muss höllisch aufpassen, um den PKW nicht zu touchieren oder gegen die Leitplanke zu stoßen. So sperrte ich an Baustellen nachts mit meinem LKW für den nachfolgenden Verkehr ab, das heißt, ich nahm den gelben Strich in der Mitte.“

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Befuhr ganz Europa per LKW: Rainer Ballack betrieb für sein Buchprojekt ausgiebige Recherchen bei Behörden sowie der polizeihistorischen Sammlung und sprach mit Zeitzeugen NN-Foto: Marjana Križnik
Befuhr ganz Europa per LKW: Rainer Ballack betrieb für sein Buchprojekt ausgiebige Recherchen bei Behörden sowie der polizeihistorischen Sammlung und sprach mit Zeitzeugen
NN-Foto: Marjana Križnik

„Manche Fahrweisen von PKW-Fahrern machen Trucker wahnsinnig“, so Ballack. Überhaupt: „In jedem PKW-Fahrer sitzt das krankhafte Verlangen, einen LKW unbedingt überholen zu müssen,“ heißt es im Buch. Ballack schildert, wie „Brummis“ einem LKW-Stau vor Baustellen durch „Dichtmachen“ abbauen. „Aber die Egoisten unter den Autofahrern, unter denen es im EU-Vergleich die meisten gibt, siegen nur allzu oft“, ist dort zu lesen. Auch mit einem pauschalen Urteil wollte Ballack aufräumen: Dass ein LKW-Fahrer eingeschlafen sein muss, wenn ein Unfall passiert. „Das ist nur ein möglicher kleiner Punkt, es gibt so viele Unfallursachen,“ so Ballack. Schließlich die weitverbreitete Annahme, dass es dem LKW-Fahrer nichts nütze, wenn er zwei Kmh schneller fährt. Ballack: „Viele sagen: der holt ja höchstens eine Minute raus.“ Er sei mal eine halbe Minute zu spät gekommen. „Das hat mich mal 16 Stunden Wartezeit gekostet. Bei den großen Betrieben riegelt der Computer ab. Um 15 Uhr ist Feierabend. Ich hätte noch vier Stunden fahren können. Das potenziert sich auf den nächsten Tag und man kann einen halben Tag verlieren.“

Ballack befuhr als Trucker vor der Wende auch die Transitstrecke. Dieser Part des Buches (unter anderem „Erste Begegnung mit DDR-Spionen“ und „Alte Stasis auf neuen Posten“) – mit unveröffentlichten „Stasi-Fotos – den er in Band eins nicht zu umfangreich halten wollte, diente als Appetithappen für den zweiten Band, so Ballack: „Für die Recherchen bin ich seit drei Jahren Stammkunde bei der Stasi-Unterlagen-Behörde und beim Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde (Ziel: Erforschung der Spuren der jüngeren deutschen Geschichte, Anm. der Redaktion), erzählt Ballack und betont: „Ich wollte Substanz in mein Buch bringen.“ Im zweiten Band wird es unter anderem darum gehen, wie „Zonen-Vopos die Transitstreckenbenutzer schikanierten“, ein Tanklastwagen-Fahrer Karriere bei der Stasi machte und wie BND und Stasi einen Brummifahrer zu Spionagezwecken missbrauchten. Ballack: „Es geht um Fälle, in denen LKW-Fahrer, mit den politischen Verhältnissen klarkommen mussten. Denn der Kampf zwische Ost und West fand auch auf der Straße, auf der Transitstrecke statt.“ Die Transitstrecke war die beste Form, den Westlern zu zeigen, wer auf der Transitstrecke was zu sagen hat. Es wurde jedes Mittel genutzt, um den anderen zu schikanieren. Ballack findet: „Man sollte die Historie im Auge behalten, besonders für Generationen die nach der Wende geboren wurden und werden“, so Ballack. Rund sei sein Buch nicht zuletzt durch die tolle Unterstützung des Bundesamtes für Güterverkehr geworden, so Ballack. Derzeit ist der 66-Jährige, der seit einem Augeninfarkt auf dem rechten Auge erblindet ist, ausgesprochen stolz: „Die Parlamentsbuchhandlung inmitten des Berliner Regierungsviertels hat ein Schnupperexemplar meines Buches bestellt!“ Wenn Rainer Ballack auf seine Jahre als Trucker mit jeder Menge Dauergrübeln und Improvisieren („Beim Frückstückmachen habe ich mit den Ellbogen gelenkt“) zurückblickt, resümiert er: „Mein Traum, den europäischen Kontinent kennenzulernen, ist jedenfalls in Erfüllung gegangen.“

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