Gut ist nicht nur Weihnachten

Qualität in „Handarbeit“: Ein Besuch bei der Kaffeerösterei van Lensing & van Gülpen in Emmerich.

EMMERICH. Das Gebäude an der Ostermayerstraße in Emmerich: eher unscheinbar. „Herzlich willkommen“, sagt Lutz Reinhard-van Gülpen. Es geht durch einen langschmalen Gang – alles ganz normal: Auslegeware auf dem Boden – links und rechts Türen. „Gehen wir hier hinein“, sagt van Reinhart van Gülpen und biegt links ab.

Dann: Der Clou. Ein Raum, der Geschichte atmet: Mahagony-Möbel, eine Ahnengalerie an der Wand – Schwarzweißfotos in runden Rahmen. Feierliche Gesichter. Geschichte ist anwesend. „Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“, fragt Reinhart-van Gülpen.

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Lutz Reinhart-van Gülpen ist der Junior-Chef. Wenn er über Kaffee spricht, muss man Zeit mitbringen.
Lutz Reinhart-van Gülpen ist der Junior-Chef. Wenn er über Kaffee spricht, muss man Zeit mitbringen.

Richtig: Es geht um Kaffee. Reinhart-van Gülpen – das ist ein Stück Emmericher Kaffeegeschichte. Lutz Reinhartd-van Gülpen ist der Junior-Chef. Er wird die Firma übernehmen. Das war nicht immer klar. Reinhart-van Gülpen hat Toningenieur gelernt. In Köln. Da hat er gelebt. Jetzt führt er ein Traditionsunternehmen, dessen Anfänge sich bis 1832 zurückverfolgen lassen. Alles begann mit Kaffee­import. Dann kam das Rösten. Geschichten kreuzen sich. Der erste „Kugel-Kaffee-Brenner“ wurde in Emmerich hergestellt. Die Fabrik: „Emmericher Maschinenfabrik und Eisengießerei van Gülpen Lensing & van Gimborn.“ Der Kugel-Brenner: Teil der Ausstattung des Kaffee-Kontors. Ein bisschen sieht er aus wie ein Kanonenofen. An der Wand – das dazugehörige Patent: „Kugel-Kaffee-Brenner neuer Construction zum Rösten von Kaffee, Cacao, Malz, Roggen, Gerste, Cichorie, Feigen, Galläpfeln für Färbereien u.s.w.“

Aus der Eisengießerei wurde mit Probat ein Weltführer in Sachen Röstmaschinen. „Zwei von weltweit drei Tassen Kaffee sind mit Kaffee zubereitet, der aus Röstmaschinen von Probat stammt“, sagt Reinhart-van Gülpen später. Unglaublich, aber wahr. Längst gehen die Firmen getrennte Wege – Probat baut die Röster, Reinhart-van Gülpen ist für den Kaffee zuständig.

Der Junior-Chef hat den Kaffee zubereitet: Handgefiltert. Allein über die Zubereitung könnte man tagelang reden.

Das Kaffee-Universum ist riesig. „Wir rösten verschiedene Spezialitätenkaffees“, sagt der Chef. Früher sprach man auch von Gourmet-Kaffee. „Aber das klingt so besonders, dass die Menschen sich einen solchen Kaffee nur zu Weihnachten leisten.“ Das ist nicht Sinn und Zweck der Übung.

Spezialitätenkaffees aus Emmerich werden an Cafés oder Wiederverkäufer geliefert, natürlich gibt es auch einen Shop im Internet.
Spezialitätenkaffees aus Emmerich werden an Cafés oder Wiederverkäufer geliefert, natürlich gibt es auch einen Shop im Internet.

Kaffeerösten ist Handwerk – eigentlich ist es eine Kunst. Aber die Kunst beginnt nicht beim Rösten – sie beginnt in der Plantage. Reinhart-van Gülpen: „Nehmen Sie die Ernte. Dazu braucht man erfahrene Pflücker. Das sind Spezialisten. Natürlich können Sie Kaffee auch mit der Maschine ernten, aber eine Maschine kennt nicht den Unterschied zwischen einer reifen und einer unreifen Kaffeekirsche. Und das ist von großer Bedeutung, denn unreife Früchte verderben natürlich den Geschmack.“ Kenntnis, so viel wird deutlich, ist nicht zum Nulltarif zu haben. Ein erfahrener Kaffeepflücker ist teurer als eine Maschine, aber Menschen wie Lutz Reinhart-van Gülpen sind sicher, dass sich der Unterschied bemerkbar macht. Das allerdings nicht nur beim Geschmack. Ein Spitzenkaffee für zehn Euro das Kilo ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ein guter Kaffee kostet pro Kilo im Verkauf schnell 22 Euro und mehr. „Wenn man das aber in den Preis pro Tasse umrechnet, sind das bei rund 100 Tassen, die man mit einem Kilo zubereitet, vielleicht 10 Cent mehr.“ Es gibt einen Unterschied. Den Beweis stellt der Chef – frisch handgefiltert – auf den Tisch. Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Leider auch nicht schreiben. Der Kaffee: Ein Erlebnis.

Dann: Der Weg in die Rösterei – vorbei an einem Regal, in dem hübsch aufgereiht in drei Etagen eine Handmühlensammlung zu sehen ist. In der Rösterei: Zwei Probat Kaffeeröster, eine Abfüllmaschine und jede Menge Säcke mit den verschiedenen Kaffees. Die Firma verarbeitet im Jahr nicht ganz 100 Tonnen Kaffee. „Das sind, verglichen mit Großröstereien, sehr kleine Mengen. Daher bekommen wir den Kaffee noch in Säcken geliefert und nicht in Containern.“ Der Kaffee kommt per LKW. Früher war das anders. Der Kaffee wurde per Schiff angeliefert. Die Emmericher Kaffee-Geschichte ist also kein Zufall, sondern quasi „rheingesteuert“.

Ihre Kaffees bezieht die Rösterei aus Indien, Brasilien, Kolumbien und Äthopien. „Äthopien ist eines der ganz wichtigen Länder, wenn es um Kaffee geht“, sagt der Chef.

[quote_box_left]Kaffee-Konsum
Kaffee ist mit 162 Litern pro Kopf das Lieblingsgetränk der Deutschen und rangiert vor Mineralwasser (143,5 Liter) und Bier (107 Liter).
Weltweit sind rund 25 Millionen Menschen mit Anbau, Verarbeitung und Handel beschäftigt.
Die Jahresernte beträgt rund 150 Millionen Sack (60 Kilo pro Sack).
In Europa kam Kaffee, der vermutlich aus der Region Kaffa im Südwesten Äthiopiens stammt, im 17. Jahrhundert in Mode und wurde zunächst in Apotheken verkauft.[/quote_box_left]Aus den verschiedenen Sorten dann die Spezialitätenkaffees zu komponieren, ist eine Kunst. Für die einzelnen Spezialitätenkaffees gibt es ein genaues Röstprofil. Während des circa elf- bis 15-minütigen Röstvorgangs ist höchste Aufmerksamkeit angesagt, denn jedes „zu viel“ kann nicht rückgängig gemacht werden. (Es ist wie beim Haareschneiden.) Drei Leute in der Firma (insgesamt gibt es sieben Beschäftigte) verstehen sich auf die Kunst des Röstens. Wohin werden die Kaffees geliefert? „Wir liefern unseren Kaffee vorwiegend innerhalb Deutschlands aus. Zum einen beliefern wir Wiederverkäufer, zum anderen aber auch Cafés. In Emmerich ist da beispielsweise die Kaffeegarage, in Haldern die Pop Bar und in Kleve Edeka Brüggemeier.“ Die Hauptaufgabe beim Marketing: Den Menschen klarzumachen, dass Gutes seinen Preis hat, denn: Gut ist nicht nur Weihnachten.

Bleibt für einen wie Lutz Reinhart-van Gülpen noch Zeit für Hobbies? „Ein bisschen schon.“ Zu nennen wären Musik und – auch das hat mit Geschmacksnerven zu tun – Bierbrauen. „Ich habe zusammen mit einem Freund vor anderthalb Jahren mit dem Brauen angefangen und seitdem Indian Pale Ale gebraut.“ Das Ganze ist allerdings (noch?) rein privat zu sehen.

Zurück zum Kaffee: Man unterscheidet zwischen Blends (also Mischungen aus verschiedenen Sorten) und sogenannten „Single Origins“ (in diesem Fall wird nur Kaffee eines ganz bestimmten Anbaugebietes verarbeitet, der zudem nicht mit anderen Sorten vermischt werden darf). Lutz Reinhart-van Gülpen: „Wir haben natürlich beides in unserem Programm.“ Später sagt er: „Die Sache mit meinem Namen ist etwas unübersichtlich. Beim Sprechen glauben die meisten Lutz und Reinhart wären die Vornamen. Es ist anders: Lutz ist der Vorname, Reinhart-van Gülpen der Nachname.“ Alles klar.

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