Nur zusehen geht gar nicht

Klischees sind ein Stück betäubte Wirklichkeit: Eine andere Tattoo-Geschichte

NIEDERRHEIN. Man sieht, was man weiß. Wer wenig weiß, sieht, was er möchte. Oft genug ist es das Klischee. Klischees sind eine Art betäubter Wirklichkeit. Ralf Seeger als Klischee wahrzunehmen, fällt nicht schwer. Da ist ein Typ, dessen Äußeres nach der Schublade schreit. Tattoos überall. 20 Jahre, sagt Seeger, hat er für das Gesamtkunstwerk gebraucht, denn so viel ist sicher: „Tätowieren ist eine Kunst.” Seegers Leben in 100 Zeilen? Schwer zu machen – es sei denn, man nimmt die Abkürzung. Klischees gefällig? Bitte sehr.

Ralf Seeger hat reichlich Tattoos am Körper. Rund 20 Jahre hat er für seine „Sammlung“ gebraucht. NN-Foto: Rüdiger Dehnen
Ralf Seeger hat reichlich Tattoos am Körper. Rund 20 Jahre hat er für seine „Sammlung“ gebraucht.
NN-Foto: Rüdiger Dehnen

Seeger war Legionär. Fremdenlegion. Drei Jahre. Weicheier sind nicht gefragt in der Legion. Nach der Legion: Doorman. „Türsteher oder Rausschmeißer – das sind doch auch Klischeewörter”, sagt Seeger. Nächste Station: Knast. Seeger saß in Siegburg. Siegburg: Die Notbremse. Seeger saß wegen Körperverletzung. Im Rückspiegel sagt er: „Gut, dass es so gekommen ist.” Seeger machte im Knast die Fachoberschulreife … und bekam sein erstes Tattoo: Ein Playboymädchen. „Das fand ich damals irgendwie gut.” Seeger hat Kampfsport getrieben und ist garantiert ein harter Klotz. Wenn Seeger über Seeger spricht, kommt irgendwann die Formulierung, er sei vom Saulus zum Paulus geworden. „Ich habe angefangen, mich um Menschen und Tiere zu kümmern”, sagt einer, der es auch mit einer eigenen Show ins Fernsehen geschafft hat. Seeger über Seeger: „Stark wie ein Stier, labil und naiv wie ein Grashalm.” Das naiv darf gestrichen werden. Seeger ist geerdet.

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Charity Biking

Seeger hat einen Jesus am Hals und Dürers betende Hände und wenn er über seine Ideen spricht, wird klar, dass diese Tattoos nicht einfach stylisch sind, sondern einen Unterbau haben. Seeger ist ein gläubiger Mensch und einer, dem das Elend der anderen nicht egal ist. „Was man in letzter Zeit über Flüchtlinge liest, das macht mich tief betroffen. Das ist etwas, wo man nicht wegsehen darf. Die meisten Leute nehmen das nicht zur Kenntnis und ich finde: Einfach zusehen – das geht gar nicht.” Also hat Seeger einen Plan gefasst und wird ihn ausführen. „Weißt du – ich bin ein Macher.” Der Plan: Charity-Biking. Altmodisch formuliert: Radfahren für einen guten Zweck. Seeger wird 24 Stunden auf dem Rad sitzen und Runden drehen. „Ich traue mir das zu. Ich bin ein harter Hund. Klar – kann sein, dass ich zwischendurch mal eine Kaffeepause mache oder kurz ausruhe, aber sei mal sicher: Ich zieh‘ das durch.” Seegers Bekanntenkreis ist groß und wenn Ralf seine Kumpels anruft, dann wird aus Theorie schnell Praxis.

„Das Ganze startet am 12. September morgens um 9 Uhr in Graefenthal und da ist dann auch sonntags um 9 Uhr morgens Schluss. Von Graefenthal geht es zum alten Kloster Roepaen in Ottersum und von da über Siebengewald und Asperden wieder zurück nach Graefenthal.” Eine Runde ist circa 36 Kilometer lang. Seeger, so viel ist sicher, wird nicht allein radeln. „Da kann natürlich jederzeit jeder mitfahren.” Eine hat schon zugesagt: „Ich habe mich riesig gefreut, dass die Tanja kommen wird.” Die Tanja – Tanja de Wendt, deutsche Stuntfrau. Sie doubelte Hannelore Hoger, Katja Riemann, Ann-Kathrin Kramer und sie hält (Wikipedia) den Weltrekord im freien Fall: 180 Meter vom Düsseldorfer Fernsehturm. Als Stuntfrau war sie bei Quentin Tarantinos „Inglorious Basterds” dabei. Während Seeger also seine Runden auf dem Rad drehen wird, können sich die Leute entweder beteiligen und Seeger begleiten oder an einer der beiden Stationen sitzen, sich unterhalten und Kaffee, Kuchen oder eine Suppe genießen – natürlich gegen Spende. „Der Else hat eine Gulaschkanone und kommt damit nach Graefenthal.” Wer ist der Else? Wie heißt der denn richtig? Seeger denkt kurz nach. „Ich sage immer Else.” Dann greift er zum Mobilfon und wählt. „Mensch Else, ich sitze hier gerade mit der Presse und erzähle von dir. Da fragt mich der Typ, wie du wirklich heißt und mir fällt nur Else ein. Elsmann. Ja. Und der Vorname? Klar, Jörg. Jörg Elsmann.” Jeder andere hätte sich irgendwie aus der Nummer rausgemogelt. Ralf ruft an und sagt: Ich weiß nicht mehr wie du wirklich heißt. „Na, Else kommt jedenfalls mit seiner Gulaschkanone. Und dann hab‘ ich noch den Andy angerufen. Der spielt bei den Musical Outlaws. Die kommen jetzt und sorgen für die Musik. Könnte laut werden, aber die können auch leise.” Natürlich wird auch in Roepaen einiges geboten. („Der Laden gehört einem Freund von mir.”)

[quote_box_left]Mitmachen

Wir brauchen neues „Futter” für unsere Serie „Stechen geblieben”. Wer seine ganz persönliche Tattoo-Geschichte erzählen möchte, kann sich gerne bei uns melden. Einfach eine E-Mail mit Infos (kurz) an tattoo@nno.de schicken und die Telefonnummer nicht vergessen, damit wir uns melden können.[/quote_box_left]Seeger wird die Sache durchziehen und hofft nicht nur auf gutes Wetter. „Ich würde mich natürlich freuen, wenn sich Sponsoren melden würden oder Leute, die einfach mithelfen möchten. Mitfahren kann jedenfalls jeder, und das nicht nur mit dem Rad. Am Ende geht es um den Spaß und natürlich um die Spenden.” Seeger wäre nicht Seeger, wenn er nicht auch Politiker eingeladen hätte. Die befinden sich freilich dann auf der Wahlkampfzielgeraden, denn sonntags wird gewählt. Sponsoren können sich mit Geld-, aber auch mit Sachspenden beteiligen. „Wenn also jemand einen Kuchen oder Suppe spenden möchte – wunderbar.” Seegers Telefonnummer: 0172/2510046. Was ist Seegers Motiv? „Jeder braucht mal Hilfe. Jeder von uns. Der eine früher, der andere später. Aber wenn es so weit ist, möchtest du nicht allein dastehen. Genau so ist es mit den Flüchtlingen. Wenn du dir klarmachst, was in deren Leben passiert, dann ist eines klar: Zuschauen funktioniert überhaupt nicht. Aufstehen ist wichtig. Wir müssen was tun. Jeder hilft, so gut er kann.”

 

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