ISSUM. Diamonds are forever. Muss nicht sein. Ringe legst du ab – Ketten und Uhren auch. Gelegenheitsschmuck. Haare kannst du färben, lang wachsen lassen, kurz schneiden. Tattoos bleiben. Sie sterben mit ihrem Besitzer.

Klaus öffnet die Tür zu seinem Studio. Wenn der erste Eindruck zählt, hat Klaus jetzt gewonnen. Da strahlt einer das Positive aus. Kommunikator. Menschenfreund. Irgendwie ein bisschen verrückt, aber – würde Kempowski sagen: Gut verrückt. Klaus ist, pardon – wird 55. Demnächst. Im Januar vor 25 Jahren eröffnete er sein erstes Tattoo-Studio. Da steht man als Tattoo-Novize und hat 100 blöde Fragen. Also bitte: Feuer frei. „Ist Tattoo-Stechen ein Lehrberuf?” „Schön wär‘s”, sagt Klaus, „denn dann gäbe es mehr Qualität. Unglaublich, was es alles gibt.” Nun ja, denkt man – das gibt es auch in Lehrberufen. Frag 40 Leute nach einem Arzt … „Nein”, wiederholt Klaus, „Tätowieren ist kein Lehrberuf. Jeder kann sich einen Gewerbeschein holen und loslegen.” Er hätte nichts dagegen, wenn es anders wäre. Klaus‘ Lieblingssatz: „Gute Tattoos sind nicht billig und billige Tattoos sind nicht gut.”

-Anzeige-

Cover-Up

„Gute Tattoos sind nicht billig und billige Tattoos sind nicht gut.“ Fotos: privat
„Gute Tattoos sind nicht billig und billige Tattoos sind nicht gut.“
Fotos: privat

Wie kommt man zum Tätowieren? Klaus jedenfalls hatte in den ersten 30 Jahren seines Lebens mit Tätowieren nichts am Hut. Klaus hat irgendwann mal Schlosser gelernt und danach jede Menge andere Sache gemacht. Irgendwann sah er ein Tattoo bei einem Freund. „Das war eines von diesen echt schlechten Tattoos. Da habe ich gesagt: Das kann ich aber besser.” So ging‘s los. Klaus‘ erster „Job”: Ein Cover-Up. Cover-Up bedeutet: Aus etwas – sagen wir – nicht ganz so gelungenem etwas gutes machen. Klaus bekam es hin. So fing es an. Diamonds are forever …

„Man braucht schon eine Vorstellung – muss in Bildern denken können”, sagt Klaus. Und fügt hinzu: „Du musst aber auch wissen, dass ein Bild auf der Haut etwas anderes ist als eine Skizze auf dem Papier.” Gibt es denn Tabus? „Klar: Gesicht, Hände, Hals. Da mache ich gar nichts.” Klare Ansage. Gleich wird klar: Einer wie Klaus lässt sich zwar bezahlen, aber käuflich ist der Mann nicht. Was nicht geht, geht nicht. Basta. Da kann der Kommunikator schnell sehr klar sein. „Oder braunes Zeug”, sagt er. „Das geht bei mir gar nicht.” Er redet nur bedingt von Farben. Er spricht von Politik. Klaus ist da wie alle Künstler: Das Wichtigste ist, genau zu wissen, was man nicht will. Danach die Konzentration auf das Mach- und Denkbare. Also: Hände, Hals, Gesicht – no go. Und Alter? „Wer unter 18 ist, bekommt bei mir gar nichts gestochen.” Volljährig muss. Und wenn es nach Klaus ginge, dann nichts unter 21. Diamonds are forever …

„Natürlich bist du mit 18 volljährig, aber für viele gilt dann immer noch der Satz: Denn sie wissen nicht, was sie tun.” Natürlich verdient einer wie Klaus gern Geld mit dem, was er da tut. Aber es gibt Grundsätze. Es gibt Haltung. Das nützt allen Beteiligten. Klaus spricht nicht über Preise, aber er sagt, dass die Sachen ihren Preis haben. Der Preis bringt manchen zum Nachdenken. (Eine Kette kannst du abnehmen …)

Auslöffeln

40 bis 60 Prozent der Kunden kommen wegen Cover-Ups. Klaus muss auslöffeln, was andere verbockt haben. Auch Cover-Ups haben ihren Preis, „aber sei mal sicher, wenn du ein Tattoo weglasern lässt, dann zahlst du ein Vielfaches”, sagt Klaus. Wenn ein Pärchen käme, um sich das Kennenlerndatum stechen zu lassen, würde Klaus ein Beratungsgespräch führen. „Wer weiß denn, wie lange die zusammen sind?” (Diamonds are forever.) Natürlich ist Stechen eine Kunst. Eine „Kleinigkeit” dauert 60 Minuten, wenn‘s richtig aufwändig wird, sind Stunden angesagt. Klaus‘ Öffnungszeiten: Eigentlich Terminvereinbarungszeiten. Nichts geht ohne Vorgespräch – egal, ob es um ein Cover-Up geht oder um etwas Neues. Klaus muss seine Kunden kennen lernen. Beraten kann bei ihm auch schon mal mit einem „Nein” enden oder mit der „Verlegung des Einsatzortes”. Merke: Nicht alles sieht überall aus. Bevor Klaus zur Nadel greift, wird ein Vertrag aufgesetzt. Auch das gehört für ihn dazu.

Tattoo_LogoZurück zu Hals, Hand und Gesicht. Ist das ästhetisch zu verstehen? Ja und nein. „Hand, Hals und Gesicht altern anders als andere Hautpartien. Du lässt dir ein Herz auf den Hals stechen und irgendwann ist es nur noch ein Flatschen.” Auch höchst formabhängig: Die Bauchpartie. Klaus hat selbst einiges an Tattoos. „Den Bauch würde ich mir nicht stechen lassen”, sagt er. Und die Kunstwerke auf den Armen? Sind die selbst gemacht? „Wie soll das gehen?”, outet Klaus den Frager als Ahnungslosen. „Ich habe doch nur zwei Hände.” Als fremdgestochen. „Klar. Das hat eine Kollegin von mir gemacht. Eine, deren Arbeit ich sehr schätze.” Schnell wird klar: Es gibt zwar viele Kollegen, aber nicht viele, die Klaus schätzt. „In Nordrhein-Westfalen sind das maximal zehn.”Klaus‘ Studio ist in Issum. Hier ist er geboren. Klaus ist rumgekommen in der Welt. Duisburg, Essen, Miami, Köln, Berlin … und jetzt wieder Issum. „Ich denke, ich werde hier bleiben. Ich habe einiges gesehen. Großstädte sind mir zu aggressiv. Nichts für mich.” Berlin: 400 Tattoo-Studios. 390 davon: Mindere Sorte. „Da geht es nur um Kohle.” Wie gesagt: Klaus hat nichts gegen Geldverdienen. Seit 25 Jahren lebt er vom Tätowieren, aber – siehe oben: Für ihn geht es immer auch um eine Haltung. „Wenn einer sich benehmen kann, arbeite ich mit ihm, wenn nicht: Da ist die Tür.” Was ist eigentlich mit dem Einwand, dass, wer Tattoo-Träger ist, nicht „in die Röhre” kann? „Das gilt vielleicht für Tattoos aus den 60-er Jahren. Heute verfügen wir über Farben, die vom Fachhandel für Profis hergestellt werden. Heute weiß man, was drin ist. Und wenn jemand zum Beispiel wegen Allergien Bedenken hat, dann schicke ich ihn erst mal zum Arzt.” Hygiene? „Ich verwende grundsätzlich nur Einwegnadeln.” Das Werkzeug: „Sieht ein bisschen aus wie ein Zahnarztbohrer.” Die Nadel: „Ein Pinsel mit Motorantrieb.” Schmerzen: „Das hängt davon ab. Achselhöhlen und Kniekehlen – da muss man schon was aushalten können.” Frau natürlich auch. Lässt sich sagen, ob mehr Männer oder Frauen sich tätowieren lassen? „Ich würde sagen, das ist fifty-fifty. Aber wenn ein Tätowierer schwul ist, kann es passieren, dass er mehr weibliche Kunden hat.” Gesellschaftsschichten? Wie gesagt: Klaus ist nicht preiswert. Da kommen dann eher die, die es sich auch leisten können. „Einmal kam einer meiner Schweizer Kunden im Rolls Royce vorgefahren – das spricht sich schnell herum.”

Nicht wirklich

Was sagt einer wie Klaus zum gemeinen Arschgeweih? Er deutet auf die Wand. Da hängt der kapitale „Kopfschmuck” eines Ex-Hirschen. Den hat er von Kollegen geschenkt bekommen – eine Mahnung an den Super-GAU des Tätowierens mit anschließendem Aufhübschzwang. You better think twice. Wenn einer das Arschgeweih will, kann Klaus auf die Wand deuten und sagen: „Nicht wiklich, oder?” Woran erkannt man ein gutes Tattoo? „Zum Beispiel an der Linienführung. Den Farben.” Letzte Botschaft: Jedes Klaus-Tatoo: Ein Unikat. Besuch gefällig? www.tattoo-kd.de.

Heiner Frost

 

Vorheriger ArtikelIst Geruchsbelästigung durch Silesia zumutbar oder nicht?
Nächster ArtikelVater, Vorbild, bester Freund