Haldern Pop goes Südtirol

Haldern Pop startet ein Herbst-Festival in Kaltern. Ja geht denn das?

NIEDERRHEIN. Manche zählen herunter bis Weihnachten. (Noch X Mal schlafen.) Andere haben Urlaubsmaßbänder. Und dann gibt es die, die mit dem HPF-Syndrom. Heute spricht die Welt in Abkürzungen. In Haldern vielleicht noch nicht. Da nimmt man sich Zeit für einen ganzen Namen: Haldern Pop Festival. Gut – das F darf ausfallen. Mehr nicht.

Kartenbesitzer haben das Datum längst notiert – verbarrikadiert. Schließlich darf froh sein, wer überhaupt eine Karte hat. Man müsste nicht viel schreiben über das HPF. Zettel an die Bäume hängen, Datum drauf: Fertig. Zwei Tage später könnte man melden: Ausverkauft. Nicht ganz. Das „Ausverkauft” hängt auch ein bisschen mit dem Internet zusammen. Die Gemeinde: Weit gestreut und trotzdem irgendwie eng zusammen. HPF ist bodenständig. Wenn das HPF-Team vom Festival spricht, geistert diesmal das Wort von der „Absichtslosigkeit” durch den Raum. Etwas einfach tun. Ohne Grund. Basta. Haldern Pop Fans haben das längst gelernt. Sie hatten mehr als 30 Jahre Zeit. Novizen lernen die Haltung vom Hinsehen. Wenn die Leute um Stefan Reichmann von „Identität” sprechen, lässt sich der Begriff – je nach Lesart – auch mit Heimat umschreiben, „Identität fängt früher an also du denkst”, sagt Reichmann. Identität ist unter anderem eine Summe von Bildern, die Vorbilder sein könnten, ohne es sein zu müssen. Identität ist in einer Welt, die mit Schlagworten wie Mobilität handelt und letztlich übersieht, dass ein Maximum an Mobilität immer auch eine Zunahme an Entwurzelung bedeutet, schwer herzustellen.

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Man bildet sich ein, dass ein Ereignis wie Haldern Pop das Zeug dazu hat, Identität und also auch Heimat zu wecken. Beide, Identität und Heimat, brauchen einen Ort. Der Ort ist Teil des Verwurzeltseins. Heimat und Identität sind nicht einfach da. Jemand muss in die Glut blasen. Von selbst kommt nichts. Eines wird klar: Absichtslosigkeit ist länst zum Luxus geworden und somit zum Paradox. Haldern ist ein Wurzelort. Haldern Pop ist Teil der Wurzel.

Wenn der Prophet zum Berg geht,  oder: Haldern Pop startet Herbst-Festival in Südtirol.   NN-Foto: HF
Wenn der Prophet zum Berg geht, oder: Haldern Pop startet Herbst-Festival in Südtirol.
NN-Foto: HF

Jetzt erfährt man: Das Haldern Pop startet ein Herbst-Festival. In Südtirol. Zur Pressekonferenz: Schüttelbrot, Tiroler Schinken, Bergwein. Die Frage: Ist Identität transportabel? Vielleicht. Wenn Heimat ein Ort im Kopf ist, ist jeder Umzug eine Selbstmitnahme.

Der Ort des neuen Festivals ist nicht nur klangverwandt: Haldern hier – Kaltern dort. Man erfährt, dass mancher Halderner eine Vergangenheit hat, die in Tirol vorkommt. Man muss alte Geschichten ausgraben – sie zum x-ten Mal erzählen: Der Ursprung von Haldern Pop: Ein Messdienergedanke: Lasst uns eine Fete machen. Absichtlosigkeit in reinster Ausprägung. Niemand hat damals an ein Festival gedacht.

Alles fließt. Alles wächst. Zurück zur Tiroler Vergangenheit. „Die Halderner Messdiener fuhren häufig nach Südtirol. Kaltern war eines der Tagesausflugsziele”, blickt Stefan Reichmann zurück. Was das Graugansküken nach der Ei-Ensteigung sieht, ist Verwandtschaft – ist Prägung. Die Welt erschließt sich über den ersten Anblick. Verwurzelung entsteht. Die frühe Erinnerung an schöne Zeiten ist somit auch ein Stück eben jener Identität, um die es in Haldern geht. Haldern Pop ist nicht nur ein Festival, Haldern Pop ist irgendwie auch eine Haltung. Ob sie übertragbar ist, muss sich zeigen. Nein – kein pessimistischer Unkenruf. Vielleicht ein kleiner Schmerz an zarter Stelle: In der eigenen Seele. Ein bisschen fühlt es sich an, als ob man am Frühstückstisch von der Freundin erfährt, „dass es da noch jemanden gibt …”. Vielleicht also fühlt man sich angehörs der Neuigkeit wie ein verschmähter Liebhaber: Jetzt also ziehen sie fort. Aber nein: Haldern bleibt. Aber was passiert, wenn Haldern verschickt wird? Ist das Klangtransport? Wandert nur die Musik? Die Musik wandert doch ohnehin. Alle, die in Haldern spielen, sind in der Welt unterwegs und empfinden Haldern doch als das irgendwie andere, irgendwie beseeltere Festival. Oder ist am Ende doch alles gleich und also uniform? Was ist übertragbar von der Haldern-Idee? Das Denkgerüst von der Identität, die früh beginnt – schnell landet man beim Anfang: Ist Identität transportabel, weil sie nichts mehr ist als das eigene Denken? Wenn Haldern für Identität steht – Identität für Verwurzelung und Verwurzelung für Heimat, dann folgt daraus, dass Identität nicht bedingunglos übertragbar ist, denn Indentität setzt ein Hineinwachsen voraus … und Suche. Wer glaubt, gefunden zu haben, wird zum eigenen Hindernis. Identität ist ein Seelenklima und Klima ist eine Sache der geografischen Lage im Äußeren und der Seele im Inneren.

Vom 13. bis zum 15. August: Haldern. Vom 15. bis zum 17. Oktober: Kaltern. Man darfkannmuss gespannt sein. Als Vorgeschmack: Die „Lange Nacht” beim Deutschlandfunk am 26. Juli ab Mitternacht. „Lange Nacht der Weltmusik in der Provinz”. Nun ja, es muss ja nicht jeder verstanden haben, dass Haldern eines eben nicht ist: Provinz. Provinz findet nur im Kopf statt. Es ist der Kopf des Betrachters.

Heiner Frost

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